Rimini Protokoll berührt in “Qualitätskontrolle” mit der Geschichte einer Heldin des Alltags
Das weiße Becken eines Schwimmbads – die Kachelfugen leuchten rot auf. Auf dem Boden des Pools sowie auf einer Leinwand im Hintergrund erscheinen quadratische Raster, elektronischer Sound pulsiert. “C4”, verkündet die in steriles Weiß gekleidete Maria-Cristina Hallwachs entschieden und beginnt die Partie Schiffe Versenken. “Wasser”, triumphiert Assistentin Timi in Rosa. Das ist Hallwachs Stichwort: Das Licht wechselt ins Grelle und Hallwachs beginnt von ihrem Unfall zu erzählen. Als Abiturientin springt sie im Sommerurlaub in einen niedrigen Swimmingpool und bricht sich das Genick. Sie überlebt mit Querschnittslähmung. “Bin ich von nun an nur noch Kopf?”, fragt sie sich.“Qualitätskontrolle” haben Helgard Haug und Daniel Wetzel vom Autoren-Regie-Kollektiv Rimini Protokoll ihren Abend über Maria-Christina Hallwachs genannt. Ein Abend, der einerseits ein Lebens mit Querschnittslähmung durchcheckt: Wie sieht der Alltag eines Menschen aus, der täglich 24 Stunden auf Hilfe angewiesen ist? Zugleich fragt er nach der Qualität, dem Wert eines Lebens mit Behinderung.
Herz und Bauch
“Ihr Körper und mein Kopf: Zusammen sind meine Schwester und ich perfekt”: Hallwachs erzählt von ihrer Schwester mit Lernschwäche. Sie wickelt ihre Assistentin Timea Mihályi in ein weißes Tuch, indem sie um sie herum fährt, bis die ganze Bühne in Weiß getaucht ist. Den Raum dominiert ihre Geschichte, mit der Hallwach uns umhüllt.
Die Inszenierung ist jedoch mehr als „nur Kopf“: Sie bohrt sich auch in Herz und Bauch, weil Haug und Wetzel immer neue Mittel finden, um Hallwachs Situation zumindest in Ansätzen nachspürbar zu machen. Luftstöße rhythmisieren die Szenen und erinnern an die ständige Angewiesenheit auf den Zwerchfellstimulator, einmal saugt Mihályi Hallwachs den Schleim ab.
Einfache Spielelemente, emotionale Schwere
Dann wieder wird der Abend existentiell, wenn Hallwachs ihre Assistentin nach ihrem Kinderwunsch fragt und wissen will, ob sie das Ungeborene auf Krankheiten und Behinderungen testen würde. Das geht an deshalb an die Nieren, weil diese Fragen indirekt ans Publikum weitergereicht werden. Mit einer Kombination aus beruhigender, elektronischer Glockenspiel-Musik und auflockernden Parcours jongliert Rimini Protokoll mit einfachen Spielelementen bei emotionaler Schwere.
Das scheint auch Hallwachs Herangehensweise zu sein. Sie wird mit einer Pflanze verglichen: anfällig, bedürftig nach Fürsorge. Doch im Stück strahlt sie in vielen Momenten eine große Selbstbestimmtheit und eine Lebensfreude aus und setzt so Samen der Hoffnung. In einer Plastikblase durch die Gegend zu reisen, um den Menschen näher zu kommen – das wünscht sich Hallwachs zu Beginn des Stücks. Am Ende erscheint ein Video von ihr im Segelflugzeug auf einem aufgeblasenen Riesen-Airbag, in dem sie über die Ethik der Pränataldiagnostik philosophiert. Auch das geht ans Eingemachte – wie der gesamte Abend, der aufwühlt und viele Fragen mit auf den Heimweg gibt.