Lachkrampf beim Präsidenten

Nein, das sind nicht Gernot Hassknecht und Michel Foucault, sondern die Kafka-Experten © Holger Rudolph
Nein, das sind nicht Gernot Hassknecht und Michel Foucault, sondern die Kafka-Experten Roland Reuss und Hans-Gerd Koch © Holger Rudolph

“Kafka-Witwen im Gespräch” – der zweite Teil des Kafka-Doppels sucht nach den heiteren Seiten des Dichters

An Franz Kafka kommt niemand vorbei, der in Deutschland eine Schule besucht. Die einen lieben ihn, die anderen hassen ihn. Wieder andere schweben irgendwie dazwischen und wissen es nicht genau. Ich gehöre wohl eher zu der letzten Kategorie. Mit Hang zum Hassen.

Wobei ich mir nach diesem Abend nicht mehr so sicher bin. “Kafka-Witwen im Gespräch heißt der zweite Teil des Kafka-Doppels bei Grenzenlos Kultur, gleich nachdem die Bühne leergräumt ist von den Überresten vom beeindruckenden “Ein Bericht für eine Akademie” mit Samuel Koch und Robert Lang. Die Bühne ist jetzt in warmes Licht getaucht. Auf ihr stehen ein schwarzes Ledersofa mit zwei passenden Sesseln und ein Couchtisch. Dahinter erscheinen in Dauerschleife alte Fotos von Kafka, seinen Freunden und Herausgebern.

Poseidon muss rechnen

Hier sitzen Hans-Gerd Koch und Roland Reuss und plaudern. Ein “familiärer Abend mit Kafka” soll es werden, deshalb auch die gemütliche Atmosphäre. Die Philologen und Herausgeber Koch und Reuss stehen klar auf der Seite der Kafka-Liebenden, bezeichnen sich selbst als Kafka-Witwen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den Ruhm Kafkas aufrecht zu erhalten und zu vergrößern. Als erste Kafka-Witwe gilt Max Brod, der nach Kafkas Tod dessen Werke zum ersten Mal herausbrachte, oft in bearbeiteter Form. “Wir sind die Nachfolger von Brod – also quasi die Brödchen”, gelingt Koch ein erster Witz. Schließlich ist es ihr Ziel, die ausgefallenen, humoristischen Seiten Kafkas hervorzuheben und den grau-depressiven Schleier zu lüften, der über seinen Werken zu liegen scheint.

Der Abend steckt voller Anekdoten und persönlicher Kafka-Momente, von der ersten Begegnung mit Kafka als Jugendlicher bis hin zur Frage, was Kafka heute noch ausmacht. Dazwischen lesen Koch und Reuss verschiedene Texte, mit denen sie die erwähnte Leichtigkeit von Kafkas Texte zeigen wollen. Einmal geht es um einen Storch, der in einem Zimmer von einem Schrank herunter das Fliegen lernt. Einmal um Kafka selbst, der in einem Brief berichtet, wie er in einer Unterredung mit dem Unternehmens-Präsidenten einen Lachkrampf bekommt. Dann wieder um Poseidon, der sich beschwert, dass er zu viel rechnen muss, aber seinen Job nicht wechseln will. Beispiele für die einzigartige Verwendung Kafkas von Sprache, die sensibel, klar und präzise ist. Und ganz frei von “verhunzter Rede”, wie Koch sagt.

Im Kafka-Sog

Natürlich kommt man nicht umhin auch über “Ein Bericht für eine Akademie” zu reden. Der Text entstand zu einer Zeit, in der die Abstammung des Menschen vom Affen im allgemeinen Bewusstsein der Gesellschaft verankert war und trivial umgesetzt wurde. Kafka nutzte dieses Bewusstsein für seinen Text. Allerdings mit einer interessanten Wendung. Koch und Reus sehen das Besondere darin, dass Kafka mit seinen Texten zeitlos bleibt. “Ein Bericht für eine Akademie” bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme, denn Anpassungsdruck und Selbstverherrlichung der Menschen ist auch heute noch ein aktuelles Thema. Viele seiner Texte passen heute genauso wie zur Zeit ihrer Veröffentlichung.

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Die Witwen vor dem berühmten, dunkel-ernsten Kafka-Porträt. Es gibt aber auch Fotos, auf denen Kafka lächelt. © Holger Rudolph

Man merkt Koch und Reuss ihre Begeisterung für Kafka und seine Texte sofort an. Sie sprühen auch so spät am Abend noch vor Energie und zeigen ihr reichlich vorhandenes Wissen über das Thema. Sie verfolgen ihr Ziel mit so viel Leidenschaft, dass man sich nicht hundertprozentig ihrem Sog entziehen kann. Und so schaffen sie es, dass man zumindest sein bisheriges Bild von Kafka zu überdenken beginnt und, wenn man ihn bisher nicht mochte, gewillt ist, ihm eine neue Chance zu geben.