In “Bericht für eine Akademie” brillieren Samuel Koch und Robert Lang als doppelköpfige Zivilisationskritik
“Ich darf meine Hose ausziehen, vor wem es mir beliebt!”, schreit Samuel Koch in die erstaunten Gesichter der Zuschauer. Denn es widerspricht so ganz dem Bild das man vor sich hat. Koch, seit seinem Unfall bei “Wetten dass…” 2010 querschnittsgelähmt, ist an Brust, Armen und Beinen mit Klebeband an seinen Partner Robert Lang gefesselt. Fremdbestimmt.
Fremdbestimmt? Zunächst wirkt Koch wie die Marionette eines unsichtbaren Puppenspielers. Die beiden Schauspieler sind ganz in Schwarz gekleidet, auch die Bühne ist in völlige Dunkelheit getaucht. Einzig ein heller Lichtstrahl ist auf das Gesicht Kochs gerichtet. Das von Lang ist unter einem schwarzen Tuch verborgen. Das Doppelmann-Gebilde sitzt auf einem Stapel Autoreifen. Sie sprechen Franz Kafkas Erzählung “Bericht für eine Akademie”, leicht gekürzt.
Sich anpassen, um zu überleben
“Hohe Herren der Akademie”, beginnt Koch den Abend, den die beiden Schauspieler schon während des gemeinsamen Studiums in Hannover entwickelt und fürs Staatstheater Darmstadt noch einmal ausgebaut und überarbeitet haben. Als hoher Herr fühlt man sich auch auf den Rängen des U17 im Mainzer Staatstheater, die an die Sitzreihen eines Hörsaals erinnern. Hier berichten Lang und Koch als Affe Rotpeter von dessen Gefangenname und Menschwerdung. Über die im Wechsel gesprochene Erzählung vergisst man schon bald, dass da vorne zwei Menschen stehen und nicht einer. Dann enthüllt Lang sein Gesicht und plötzlich fragt man sich: Wer ist hier Affe? Wer Mensch?
Die Geschichte Rotpeters ist die eines Wesens am Rand. Eines Affen, der am Ende menschlicher ist als so mancher Mensch. Dennoch bleiben Vorurteile, die man gegen ihn hat. Kein Wunder, dass er sich mit allen Mitteln seiner Umwelt anpassen will, weil es der einzige Weg in die Freiheit ist – und er greift dafür sogar zur Schnapsflasche, obwohl sich alles in ihm dagegen sträubt.
Während Koch dies berichtet setzt Lang seinem Partner die Flasche an den Mund, Koch trinkt. Und trinkt. Und trinkt – hastig, geräuschvoll, würgend. Koch kann sich gar nicht dagegen wehren. Er ist dem Mann hinter sich ausgeliefert. Vielleicht ist es das, was Rotpeter meint wenn er von dem “Menschenausweg” spricht: Er muss sich den Menschen um ihn herum anpassen, um zu überleben.
Wer ist Mensch, wer Affe?
Es ist erstaunlich, wie gut die beiden Schauspieler zusammenarbeiten. Lang reagiert auf jeden Satz von Koch mit der passenden Geste. Und auch Koch, der seinen Partner ja nicht sehen kann, reagiert in jedem Moment auf dessen Impulse. Einzig die Hände der beiden Schauspieler, die an jedem Finger zusammengeklebt wurden, zeigen die Dopplung. Je länger der kurze Abend dauert, desto stärker tritt die Zweikörperlichkeit der Beiden in den Hintergrund – so, wie man sich vielleicht auch an den Anblick des vermenschlichten Affen Rotpeter gewöhnt.
Bis zur letzten Sekunde kann man nicht sagen, wer Mensch ist und wer Affe. So einfach macht es einem Stephan Hintzes Choreografie nicht. Stattdessen bietet die als gemeinsamer Work-in-progress entstandene Inszenierung eine völlig neue Interpretation des Wortes “Inklusion”, weil die beiden Schauspieler einander auf eine Weise ergänzen, die den Zuschauer vergessen lässt, wer sich selbst bewegt und wer bewegt wird.