Puppen-Pointen und Kommunismus-Melancholie: Das Helmi erzählt Pier-Paolo Pasolinis “Große Vögel, kleine Vögel” neu
„Jesus, lachen kannst du zu Hause. Mach Schmerz draus, du Idiot!“ brüllt der Regisseur aus der ersten Reihe. Gerade noch hatten die Performer des Berliner Puppen-Splatter-Kollektivs Das Helmi auf dem Bolzplatz in Slow Motion um den Ball gekämpft, jetzt drehen sie einen Jesus-Film. Nicht nur die kräftigen Farben der Tücher, die sich die Schauspieler umwickeln, knallen dem Zuschauer entgegen: Brian Morrows Jesus bequemt sich langsam auf eine Leiter, um letztlich so zu tun, als hinge er am Kreuz – und kriegt einen Lachkrampf. Anstößig? Auf keinen Fall. Man nimmt es den Helmis überhaupt nicht übel, stattdessen macht sich amüsiertes Gekicher im Saal breit.
“Große Vögel, kleine Vögel” heißt der Abend nach Pier-Paolo Pasolinis Film von 1966. Der große italienische Regisseur und schwule Kommunist erzählt von Vater und Sohn, die durchs Land wandern und auf dem Weg einem sprechenden Raben begegnen, der die beiden in politisch philosophische Debatten über Gott, den Hunger der Welt, Marx und Revolution verwickelt. Zur Veranschaulichung erzählt er ihnen die titelgebende Parabel über die Falken und Spatzen, denen sie im Auftrag des heiligen Franziskus das Evangelium predigen sollen. Doch Vater und Sohn erweisen sich als ziemlich ignorant und erklärungsresistent. Am Ende landet das nervige Gefieder im Kochtopf.
In der “Stadt der Ideologie”
An diesem Handlungsgerüst orientiert sich das Helmi und improvisiert wild drauf los. Aus Themen wie Kapitalismus, Kommunismus, Gott, Jesus und Maria, Franz von Assisi, Liebe und Spiritualität entstehen konkrete Szenen Live-Musik beigemengt. „Es ist nie zu spät, wenn du weißt woher du kommst und wenn du weißt wohin du gehst“ – mit diesem Vorsatz suchen Vater und Sohn nach dem Sinn des Lebens und begegnen auf ihrer Odyssee ganz schön schrägen (Schaumstoff-)Vögeln, Bewohnern der „Stadt der Ideologie“, welche die beiden fragen, wohin ihre Reise geht. Später erklären sie ihnen, dass sie sie darum beneiden, dass sie stinken und schwitzen, krankenversichert sind und bloß rumhängen können.
Kurz darauf treffen sie auf den heiligen Franziskus (Dasniya Sommer), eine Szene, die stark an Giottos “Vogelpredigt” erinnert – sind es doch gerade Vögel, um die der Abend kreist. Auch Pasolini selbst findet Einzug in die Inszenierung, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit Schauspieler Nineto fummelt, der im Film den Sohn spielte und bei Florian Loycke als antiker Hirte aufkreuzt.
“Wir waren Rock-Stars”
Am Ende landet auch auch hier der Vogel im Topf, ein exorbitant großer Schaumstoff-Spatz, der kurz zuvor noch beteuerte: „Wir waren keine richtigen Kommunisten. Wir waren Rock-Stars.“ Danach projizieren die Helmis einen alten Mann mit Rauschebart auf die Leinentücher, die in einem Halbkreis auf gehangen die Bühne markieren. In Anlehnung an Karl Marx verklickert er: „Es wird weiter Rückschläge geben, da muss man eben Geduld haben.“
Trotz viel Schabernack und wahrer Witz-Wonne sind es etwa Brechtsche Verfremdungseffekte, die das Publikum dazu animieren, darüber nachzudenken, was sie just gesehen haben. Sei es durch die erzählerischen Lieder, die Unterbrechungen der Handlung durch Kommentare, durch die Geschlechts-umgekehrte Rollenverteilung. Ganz in diesem Sinne, ist es Emilio, der Vater, der unverblümt verheißt: „Gott hat uns eine Birne geschenkt, die sollten wir endlich mal benutzen!“