Freakshow ohne Freaks

Der kann ja was, der Mensch! © Marie Tollkühn

Eine Maske erzählt uns mehr als ein Gesicht. Was erzählen uns dann ein Dutzend Affen, ein Pilz und ein Zwerg? Über nicht heldenhafte Helden, Evolution und offene Beziehungen in Helmis “Planet der Affen 2”

In seiner Hose schlägt es fünf vor zwölf. Der Druckt steigt. Dreckiger, animalischer Schweiß perlt von seiner Stirn. Der Blick voller Entschlossenheit und Mut. Eine Frau in Hula-Kleid und Blumenkette steht ihm gegenüber, stumm, jedoch voller Schönheit. Gemeißelt in Potenz und Testosteron beginnt der Mann sein Balztanz auszuführen. Seine unorthodoxen und gegen Harmonie verstoßenden Bewegungen locken das Weibchen an, kreieren einen Strudel der Ekstase. Lasziv bewegt sie ihren Körper zur Livemusik. Ästhetik und Absurdität geben sich wechselweise die Pfote. Stottrige Breackdanceinlagen und gekonnter Hüftschwung verschmelzen miteinander. Das Paarungsvorspiel scheint geglückt zu sein.

Anfangs noch hatte Felix Loycke als Astronaut George Taylor den Zuschauer erzählerisch nüchtern eingeführt ins Puppen- und Maskenkabinett aus einer nicht so weit entfernten Welt und demonstriert, wo Heldenstatus und Messiaskult geboren werden: in der Absurdität. Zumindest an diesem Abend, wo das Animalische im Mann später im Balzverhalten demonstriert wird. In Kooperation mit dem Berliner Ballhaus Ost schießt das Helmi-Team Franklin J. Schaffners Verfilmung der “Planet der Affen”  auf eine Raumfahrt zum Skurrilen und Grotesken. Sie stecken den gesellschaftskritischen Primaten in einen farbenfrohen, psychodelischen Raumanzug und zerhacken die Frage nach menschlichen Verhaltensweisen, Evolution und Theokratie in mundgerechte Bilder, serviert mit selbstironischer Beilage.

Wer sieht, wer wird gesehen?

Ist das jetzt Puppentheater, Kaberett, Performance, Kunstinstallation? Egal – die Helmis sind alles, außer langweilig. Pierre Boulles dem Film zugrundeliegender Roman über einen Astronauten, der auf einem anderen Planeten notlandet und eine Gesellschaft von herrschenden Affen und unterjochten Menschen vorfindet, ist auf seiner Handlunsgebene banal genug. Wo allerdings Boulle das Herrschaftverhältnis zwischen Mensch und Mensch in seinem Werk kritisiert, erkunden die Helmi-Spieler den Alltag des Menschen. Dem Publikum offenbart sich eine verkehrte Welt: Ist es nicht die Banalität, die dem menschlichen Dasein ihre Absurdität verleiht, ihm zugrunde liegt?

So gelingt dem Helmi ein Paradigmenwechsel mit erstaunlichem Effekt. In wechselnden Rollen erstürmt die sechsköpfige Affencrew die Fundamente der menschlichen Existenz und sendet ein nicht weghörbares Signal an unsere zerebrale Leitungen: Nachdenken. Auch, weil die faszinierenden, gleichwohl grostesk erscheinenden Affenmasken und Puppen das Publikum selbst zum Kunstobjekt werden lassen. Wer starrt wen an? Wer sitzt hier im imaginären Käfig, in der Freakshow ohne Freaks? Die riesigen, starren Augen und die verzerrten Mäuler der Helmi-Masken ziehen einen in dieses skurrile Wurmloch und lassen den Gedanken zu unter Artenschutz zu stehen.

Ich Jane, du Tarzan – Trash trifft auf Darwinismus

Schon Erich Kästner hat in seiner “Entwicklung der Menschheit” die absurden Verhaltensweisen der menschlichen Spezies angeprangert.  “Das Helmi” jedoch geht noch einen Schritt weiter und offenbart es auf messianische Art.

Wenn Okka Hungerbühler mit ihrer fast schon elfenhaften Gestalt im weißen Arztkittel sich eine riesige Gorillamaske vors Gesicht hält und als Wissenschaftlerin Zira Felix Loycke und Brian Morrow (im Superman-Slip und dicker Hornbrille) auf die Bühne bittet, um die menschliche Anatomie und das Paarungsverhalten zu erklären, ist das grundsätzlich banal. Die Affenmaske ist eine Maske einer Maske. Die einzelnen Rollen strotzen nur so vor Komplexen und Neurosen. So erscheint Morrow in einer weiteren Rolle als Schimpansenarzt Dr. Cornelius mit britischem Akzent und fremdschämenden Sexualverhalten oder Felix Loycke u.a. als Professor Zaius, der nicht von seinen Dogmen überzeugt ist, aber dennoch auf Grund von narzisstischen Zügen daran festhält.

Und sonst noch? Ein Astronaut mit Überego, eine zynische, rappende Busfahrerin. Ein bekiffter Affe der Bananenbier verkauft. Das Repertoire ist so facettenreich, wie das Leben selbst.

“Planet der Affen 2” ist eine Parodie auf den Menschen selbst, verpackt in Schaumstoff und Gips. Das Publikum sitzt im Geschworenengericht und muss ein Urteil fällen über Menschheit und Evolution. Sind wir des Schwachsinns schuldig und nehmen das so hin, oder legen wir Berufung ein?

Verhandlung vertagt.

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