Heute eröffnet die Comic-Ausstellung “Catch-Match in Vielsam”. Über Grenzenlosigkeit, Identität und Vergangenheit von Comics und Graphic Novels
Mickey Maus, Asterix, Superman, Tim und Struppi – sie sind die Helden der Kinderzimmer, durchcoloriert und auf Cellulose verewigt. Die Welt der Sprechblasen, großen Augen und der noch größeren Gesten offenbart dem Leser ein Mix der Emotionen in seiner radikalsten Form.
Mit der Zeit jedoch sind nicht nur die einst jungen Leser erwachsen geworden. Comics (engl. Begriff für comic strips) sind nicht mehr nur “komische Streifen”. Längst werden sie auch als Plattform für gesellschaftliche und politische Themen genutzt.
Schon die Superhelden der 1930er und 1940er kämpften engagiert gegen Hitler und Stalin. Seitdem ist allerdings die Komplexität der Erzählungen und die Qualität der Zeichnungen gewachsen: So genannte Graphic Novels (auf Deutsch etwa: Comicromane) erfreuen sich immer größerer Beliebtheit und sind ein Beispiel dafür, wie Wort und Schrift sich zu Werken verbinden, die ihren Geschwistern in bildender Kunst und Roman nicht nachstehen.
Der amerikanische Cartoonist Will Eisner veröffentlichte 1978 mit “A contract with god” die erste sequenzielle Kunst, die als graphic novel betitelt wurde, weil er sein Werk als Literatur verstanden wissen wollte. Damit legte er den Grundstein für einen immer stärker wachsenden Sektor.
Ist doch alles das Gleiche?
Die Auswahl an Graphic Novels ist so facettenreich wie das Leben selbst, das mal realistisch, mal verzerrt im Noir Stil, mal rosabunt mit grünen Löwen wiedergeben wird. Ob dabei das Label Comic oder Graphic Novel gewählt wird, ist letztlich zweitrangig: Die Zeichner und Geschichtenerfinder selbst sind es, die entscheiden, ob sie nachts mit Cape und Maske über die Dächer hecheln oder im Businessanzug im Sportwagen hinterher chauffiert werden.
Einige Künstler benutzen das Label, um den literarischen Anspruch zu verstärken, andere halten es für ein Marketingphänomen, um die Verkaufszahlen in die Höhe zu treiben. Beide haben eines gemein: Es sind die Bilder, die am stärksten in unserem kulturellen Gedächtnis haften bleiben und Teil der Geschichte werden. Es sind zwei Begriffe, die das Gleiche wollen: die Welt verändern.
Bilder, die Grenzen sprengen
Art Spiegelmann. Majane Satrapi. Ari Folman. Drei Namen, drei Geschichten. Sie erschufen eine Kunst der Aufklärung und politischen Bildung und demonstrieren mit ihren Werken, dass nicht alles fiktiv ist und Geschichte anders sein kann. Sie haben auch definiert, was Comic und Graphic Novel können.
So entwarf der Cartoonist Spiegelmann mit “Maus” eine beeindruckende Tierfabel, die das Grauen des Nationalsozialismus und die Folgen des Holocaust für den Einzelnen offenbart.
Majane Satrapis “Persepolis” thematisiert in ausdrucksstarken schwarz-weiß Bildern den schwierigen Weg eines iranischen, jungen Mädchens zur Emanzipation und schildert die Folgen von pro-islamischer Indoktrination. Folman verarbeitet in seinem Werk “Waltz with Bashir” die Erfahrungen eines isralischen Soldaten während des Libanonkonfliktes und stellt ihn zwischen Schuld und Sühne.
Für den Betrachter ist es Belehrung und Erkenntnisreichtum, für den Künstler Verarbeitung und die bewusste Konfrontation mit der Vergangenheit und der eigenen Identität. Spiegelmanns Eltern überlebten das Konzentrationslager in Auschwitz, Satrapi floh mit 15 aus ihrer Heimat, um den Auswirkungen der islamischen Revolution zu entgehen und Folman war selbst israelischer Soldat, der im Libanon stationiert war und sich mit dem Massaker von Sabra und Schatila vor einigen Jahren künstlerisch auseinandersetzte. Es sind Geschichten von Menschen, über Menschen, die alle eines zeigen: Manchmal ist das Leben wie ein Kampf. Aufgeben ist keine Option.
Jeder Strich, jede Farbgebung kann die Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart überwinden und ein neues Bild kreieren und die Silhouette des eigenen Ichs schärfer erscheinen lassen. Ein weißes Blatt Papier wird somit zum Spiegel zur Seele und Wahrheit. Bilder sind Abbildungen der Wirklichkeit, doch Helden gibt es wirklich. Man muss nur genau hinschauen.
Heute (ab 19 Uhr) führt das belgische Comic Label Frémok mit dem Vortrag “La Bande Dessinee est un Sport de Combat” in eine bildgewaltige Welt des Kampfes, des Selbstausdrucks und der Grenzenlosigkeit ein. Mit anschließender Filmvorführung.