“Die ganze Welt ist Bühne. Und alle Frau’n und Männer bloße Spieler”, schreibt der große William Shakespeare in “Wie es euch gefällt”. Was passiert aber, wenn den Frauen und Männern die Rollen, die sie spielen sollen, plötzlich abgenommen werden? Ist es der Anfang oder das Ende der Freiheit? In “Lost Love Lost” befragt das Berliner Theater RambaZamba auf der Suche nach einer Antwort Shakespeare selbst.Auf der Bühne, inmitten dunkler Podeste und weitläufiger Rampen, räkeln sich Geister auf dem Boden, schwingen auf Seilen durch die Lüfte oder bauen Türme aus Metallschüsseln. Vögel zwitschern, Regentropfen prasseln, Blätter rascheln. Ein Sturm, oder besser “Der Sturm” braut sich zusammen. Dann wird aus den umgeworfenen Metallschüsseln ein Boot gebaut und die Reise kann losgehen.
Die Rahmenhandlung des Abends ist schnell erzählt: Eine Gruppe Schauspieler strandet nach einem Schiffbruch auf einer Insel – ausgerechnet jener, auf der der Regisseur Antonio seinen ungeliebten “Krüppel”-Bruder und vormaligen Theaterleiter Prospero samt Tochter Miranda ausgesetzt hatte, um selbst seinen Posten einzunehmen. Prospero sinnt auf Rache und lässt seinen wilden Diener Caliban den Schauspielern ihre (Papier-)Rollen abnehmen. Ohne sie ist die Truppe hilflos. Der Vertriebene verteilt neue Rollen und führt selbst Regie in einer Inszenierung, mit der er den Verrat des Bruders öffentlich zu machen hofft.
Was nun folgt, sind mehrere “Spiel im Spiel”- und sogar “Spiel im Spiel im Spiel”-Einschübe, denen nicht mehr so einfach zu folgen ist. Zunächst wird Hamlet gegeben – welches Stück eignet sich besser zur Enthüllungszwecken und zur Legitimation von Rachegelüsten? Antonio selbst spielt Claudius und Prosperos Tochter Miranda, die sich als gehörlos herausstellt und für anfängliche Verständigungsschwierigkeiten sorgt, die Königin Gertrud. Mit der Mausefalle, mit der Prinz Hamlet seinen Onkel des Mordes an seinem Vater überführt, gelingt Prospero in eigener Sache nur ein teilweiser Erfolg, denn Antonio gibt zwar zu, seinen Bruder verraten zu haben, aber schließlich lebt dieser ja noch, was die Brisanz der Sache entschärft. Als Miranda und einer der Schauspieler sich näherkommen, wird auf Prosperos Anordnung ein anderes Stück inszeniert, das als Lehrstück über das Verderben der Liebe gelten soll – “Othello”, mit Mirandas Verehrer in der Hauptrolle. Da dies nicht fruchtet und sich die Darsteller beim Spielen der Tragödie zu sehr amüsieren, verlangt Prospero von Antonio, in die Rolle des Bösewichts Richard III. zu schlüpfen. Antonio scheitert an der gestellten Aufgabe, woraufhin die Truppe ihn verlacht. Die Schauspieler reißen sich endlich los von Zwängen und Unterwerfungen und bauen das beschädigte Schiff wieder auf. Es gelingt ihnen, auch Prosperos Gefolge zur Flucht zu überreden, sodass nur noch Prospero und Antonio zurückbleiben.
Eine große Menge Stoff wurde da vom Kreativteam um die Regisseurin und Theaterleiterin Gisela Höhne zusammengetragen. “Stoff” ist fast immer der Ausgangspunkt dieses wohl wichtigsten integrativen Theaterensembles im deutschsprachigen Raum. In der Tradition der ostdeutschen Schauspielausbildung stehend – Höhne selbst ist Absolventin der heutigen Schauspielschule “Ernst Busch” – , legt RambaZamba besonderen Wert auf klare Figuren und Situationen sowie das schauspielerische Handwerk.
Ein Handwerk, dass in jeder Sekunde des Abends spürbar ist, denn alle Darsteller spielen mit ungeheurer Konzentration und – wichtiger – Hingabe. Fast das gesamte Ensemble ist nach Mainz gereist, über dreißig Schauspieler stehen in Lost Love Lost auf der Bühne. Herausragend etwa die Körperpräsenz Jan-Patrick Kerns (Caliban), die Ausdruckskraft Rosemarie Walters (Miranda) und Juliana Götzes (Desdemona), die Wucht, mit der Propero (Sven Normann) wütet sowie das komödiantische Talent Joachim Neumanns (Polonius/Jago). Daneben sorgen fünf Live-Musiker für den atmosphärischen (akustischen) und den spektakulärsten (visuellen) Teil des Abends: Mit den verschiedensten Musik- und Perkussionsinstrumenten, darunter auch Stöcke, Lederriemen am Kopf und aufgespannte Trommelfelle mit Steinchen dazwischen, produzieren sie eine faszinierende Klang- und Geräuschkulisse mit Regentropfen, Blätterrauschen und Insektenbrummen.
Ein spektakelnder Reigen also, in dessen Motiv- und Quellen-Fülle die Klarheit der Figuren und der Situationen untergeht. Vor allem der erste Teil scheint mit seiner dramatischen Dichte die Ausdrucksfähigkeiten der Schauspieler zu hemmen. Sobald ihnen die Inszenierung im zweiten Teil mehr Raum und Zeit überlässt, entstehen ergreifende und spannungsgeladene Momente. Großartig beispielsweise die Mordszene zwischen Othello (Moritz Höhne) und seiner Desdemona, die von Pausen und langsamen sanften Bewegungen lebt.
Auch die Erkundung der Freiheit im Spiel und außerhalb dessen geht irgendwo zwischen “Hamlet”, “Othello”, “Richard III.” und den Versatzstücken anderer Werke Shakespeares verloren. Anscheinend unfähig, sich ohne zugewiesene Rollen zu artikulieren, schaffen es die Schauspieler erst durch die Kritik an der Rolle, die Insel zu verlassen. Aber auch dies nur scheinbar. Denn nachdem ein weiterer Sturm ein zweites Mal das Boot der Flüchtlinge zerstört, finden sie sich auf der bereits verlassen geglaubten Insel wieder. Sie können also nicht mit und nicht ohne ihre Rollen. Am Schluss behalten sowieso höhere Mächte, sei es in Form von Schicksal, Naturgewalten oder Magie die Oberhand. Sein oder nicht sein bleibt daher auch hier die Frage.
Ein Gedanke zu „In der Insel-Mausefalle“
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