King Kong – seine wilde, seine liebenswürdige und seine weibliche Seite

Als Kind bin ich häufig eingeschlafen, wenn Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andres einen Mord aufgedeckt haben. Ganz anderes war es bei dem Spektakel, das am vergangenen Freitag unter dem Decknamen „Live-Hörspiel“ im Kulturzentrum KUZ aufgeführt wurde.

Jeder kennt die Geschichte von King Kong und seiner Anne. Ein abgebrannter Filmemacher reist mit seiner Crew zur „Schädelinsel“ im Pazifischen Ozean, um dort den Film seines Lebens zu drehen. Mit ihm an Bord die hübsche Blondine Anne. Doch dann treffen sie auf Kong, einen Riesenaffen, der sich in Anne verliebt und sie entführt. Sie wird zwar gerettet, aber nur um dann in New York von ihm auf das Empire State Building getragen zu werden.

Ja, jeder kennt die Geschichte vom wilden Affen, der gar nicht so wild ist. Denn wie wild kann man sein, wenn man Liebe empfinden kann? Ein Frage, die über drei Stunden im KUZ in drei Variationen auf verschiedene Arten gestellt und zu beantworten versucht wurde.

Wie Kaminski King Kong auf die Bühne zaubert

Erst war da Stefan Kaminski, alias „Kaminski on Air“, der in einer atemberaubenden Show die Stimmen von King Kong, Anne und den Bewohnern der Pazifikinsel und das Rauschen des Meeres auf die Bühne zauberte. Neben ihm saß noch Sebastian Hilken mit seinem Kontrabass auf der Bühne. Um sie herum mehrere Mikrophone, Wasserflaschen, Plastikpflanzen, ein großer, goldener Gong, ein Glockenspiel. Unter Kaminskis Füßen befand sich eine Kiste, gefüllt mit Kieselsteinen. Mit der Wasserflasche erweckte er den Eindruck von Wellen, mit den Kisten und den Pflanzen den von Schritten im Sand. Wenn Anne weint, erklingt das Glockenspiel.

Er betreibt „Stimmen-Morphing“, er spielt alle Rollen und erzeugt alle Geräusche selbst. Kaminski spann eine Decke von Erstaunen und Freude über das leider nur spärlich erschienene Publikum und zog sie alle in seinen Bann. Fast schon magisch war die Stimmung im großen Saal, der sonst für Partys und Lesungen herhalten muss. Schnell wurde erzählt und leider war es genauso schnell auch wieder vorbei.

King Kong und seine vermeintlich weibliche Seite

Als Nächstes versuchte eine Theatergruppe der Hochschule Ernst Busch Berlin, King Kong neu zu interpretieren – aus feministischer Perspektive, frei nach Virginie Despentes. Unglücklicher Weise blieb es für mich bei einem Versuch. Auf der Bühne sitzen zwei Männer, gekleidet in enge Leggins. Das Empire State Building bilden zwei Tischen und King Kong ist eine Schauspielerin, die in einem Fastnachtskostüm steckt. Dass das Stück „günstig“ produziert wurde, muss der Qualität generell keinen Abbruch tun – dass die Schauspieler in keiner Weise textsicher waren, leider schon.

Auch die Idee, die hinter Despentes „King Kong“ steckt, sehe ich nicht wirklich umgesetzt. Das weibliche Idealbild sei nicht die perfekt inszenierte Weiblichkeit, sondern ein ganz anderes Geschöpf, das Despentes für besonders subversiv hält: der titelgebende Affe, ein Wesen jenseits geschlechtlicher Zuschreibungen und ideologischer Domestizierung. King Kong lebte, bevor er in die Zivilisation verschleppt wurde, in einem paradiesischen Zustand außerhalb der heterosexuellen Normativität, in einer Art multipler Hybridität.. Das Biest befinde sich an der Nahtstelle zwischen Mensch und Tier, männlich und weiblich, Erwachsenem und Kind, Gut und Böse, primitiv und zivilisiert, Schwarz und Weiß.

Im KUZ soll dem von der Armee verfolgten King Kong auf dem Empire State Building, eine Chance geboten werden sich in die Gesellschaft einzugliedern – und zwar als perfekte Frau. Für mich endete diese 25-Minutigen Theateraufführung in einer trashigen Witzveranstaltung, die Kaminskis Vorlage nicht im Geringsten das Wasser reichen konnte.

King Kong, eine Liebesgeschichte verschiedenartiger Körper

Den Abschluss der Veranstaltung bildete die portugiesische Tanzgruppe Grupo Dançando com a Diferença. Zwei Frauen mit Down-Syndrom tanzten gemeinsam mit zwei Männern auf einer fast leeren Tanzfläche. Souverän stellten sie tänzerisch die Liebesgeschichte von Körpern dar, die sich voneinander unterscheiden. Ähnlich wie die Körper von King Kong und Anne.

Eine fabelhafte Interpretation, die den Abend abgerundet hat. Nichtsdestotrotz war es Kaminski, dessen Hörspiel im Gedächtnis bleibt und zum Nachdenken anregt. Denn wie er über King Kong sagt: „In seiner Welt ist er König, aber in unserer wird es Sklave sein.“ Wären wir nicht auch Sklaven auf einer Insel im Pazifik? Aber sind wir Könige in unserer Welt? Und ist King Kong wirklich wilder als wir selbst?

Lea Sophie Preußer

Lea Sophie Preußer, geboren 1990 in Wiesbaden, studiert Kulturanthropologie, Publizistik, Literaturwissenschaft und Philosophie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Als freie Redakteurin schreibt sie für verschiedene Lokalzeitungen wie der Allgemeinen Zeitung Mainz und betreut ihren eigenen Flohmarktblog. Schon 2011 war sie Teil des Bloggerteams für das Grenzenlos Kultur Festival. Nebenbei arbeitet sie als Redaktionshilfe beim ZDF. Mehr unter www.marktwelten.de und auf Twitter @LeSophie.