Unsere Festivalmomente 2024

Die Blogger:innen der diesjährigen Alumni-Edition haben 10 Tage lang das Festival „Grenzenlos Kultur vol. 26“ mit verschiedenen Berichterstattungs- und Kritikformaten begleitet. Interviews, Künstler:innen-Portraits, vielseitige Kritiken. Was waren ihre herausragendsten, bemerkenswertesten Festivalmomente?

Hannah Dickescheid: Mein absolutes Festival-Highlight war „Kill Me“ von Marina Otero. Bühnenabriss vom Feinsten. Ich war von dieser Tanzperformance so geflasht, dass ich am nächsten Tag einfach nochmal in die Vorstellung gegangen bin. Gänsehaut auf dem gesamten Körper, Lachen mit Tränen in den Augen, Tränen ohne Lachen in den Augen. Voll verdient haben beide Abende tosende Standing Ovations erhalten. Beeindruckend waren für mich außerdem die Produktion „Aurora Negra“ des gleichnamigen Kollektivs, die humorvolle Arbeit „Bauchgefühl“ (Theater Thikwa & Kollektiv hannsjana) und die beiden Tanzperformances „Zer-brech-lich“ (Alessandro Schiattarella) und „Parlem-ne“ (Cía Vero Cendoya), die mich alle je auf ihre Weise auf unterschiedliche Gefühlsreisen geschickt haben.

Pressebild zu Marina Oteros „Kill me“ , Foto: Sofia Alazraki

Lucienne Ackerl: Mein absoluter Festivalmoment waren die Gespräche, die ich mit den Künstler:innen für die Blog-Interview führen durfte. Besonders gefallen haben mir „Finding Willard“ von Tom Struyf und „Bauchgefühl” von Theater Thikwa und dem Kollektiv hannsjana. „Finding Willard“ hat mich nach meiner Sichtung stark grübeln lassen. Vielleicht hat es mich auch veranlasst, selbst ein wenig über die Stadt Willard zu recherchieren. Aber am schönsten sind immer noch das Lächeln auf den Lippen der zufriedenen Künstler:innen, auf den Gesichtern der Festivalleitung und das jubelnde Publikum, das einen schönen Abend im Theater hatte.

Szenenbild aus „Finding Willard“ von Tom Struyf, Foto: Holger Rudolph

Hannah Rex: Mein Festivalmoment 2024 war am 01.07.2024. Man mag meinen, dass das ja wohl nicht sein kann – das Festival war immerhin erst im Oktober – doch an diesem 1. Juli erfuhr ich von der Tatsache, dass in diesem Jahr die ehemaligen Blogautor:innen noch einmal ran dürfen. Ich empfinde es als große Ehre, noch einmal Teil des Teams gewesen sein zu dürfen und habe jede Brise Festivalluft behutsam in mich aufgesogen. Die kleine Flamme der Vorfreude, die von Juli bis Oktober in mir loderte, entbrannte am 11. Oktober zu einem Feuerwerk der Emotionen. Eine grandiose Inszenierung zum Auftakt sowie eine schier riesige Anzahl gespannter Festivalbesucher:innen ließen die freudig-knisternde Festivalatmosphäre wieder aufleben. Ich glaube, wer einmal von ihr gekostet hat, wird süchtig.

Anna Drößler: Mein diesjähriger Grenzenlos-Kultur-Moment ist die Aussage des Bruders an die schreibende Schwester: „Was mich behindert, sind die Bilder, die es von Behinderungen gibt. Also bitte lass das einfach. Lass mich lieber glänzen“. Ein Zitat aus Magdalena Schrefels Stück „Die vielen Stimmen meines Bruders“. Das Bewusstsein für die Kontingenz von (Körper)Sprache – Denken – Wirklichkeit mindert die Problematik der gesellschaftlichen Strukturen nicht, erinnert aber gleichzeitig an die zugrundeliegende Freiheit, alles auch anders entwerfen zu können. Die grenzenlose Perspektive auf Kunst- und Lebensräume kann die Welt im Sinne der Geschwister nicht bloß darstellen, sondern verändern.

Leonard Grobien sitzt auf der linken vorderen Kante eines weißen, leicht erhöhten Podestes. Seine Beine berühren den Boden. Er trägt ein blaues, langärmeliges Hemd, eine blaue Jeans und rot-weiße Schuhe.  Grobiens Arme liegen auf seinen Knien auf. Die Hände sind zusammengefaltet. Seinerseits rechts steht sein Rollstuhl neben dem Podest. Grobien schaut nach rechts in das Gesicht von Florentine Krafft. Florentine Krafft sitzt auf der rechten vorderen Kante des Podestes und schaut nach links in das Gesicht von Grobien. Sie trägt ein violettes T-Shirt, eine blaue Hose und weiße Schuhe. Ihre gefalteten Hände liegen auf den geschlossenen Knien auf. Die Fußspitzen auf dem Boden zeigen nach innen. Hinter Florentine Krafft steht ein transparenter Stuhl auf dem Podest. Der Hintergrund und der Bühnenboden sind schwarz.
Leonard Grobien (li) und Florentine Krafft (re) in „Die vielen Stimmen meines Bruders“, Foto: Holger Rudolph

Lars Hördt: Der Saal des Kleinen Haus riecht nach Weihrauch und aus Lautsprechern erklingt ein Choral. Benebelt von dem Geruch und im Bann der Musik, suche ich im Halbdunkeln meinen Platz. Auf eine Leinwand werden Szenen aus dem Leben von Marina Otero projiziert: ein verwackeltes Video, das vielleicht bei einer Probe entstanden ist, Marina als Kind, Marina unter der Dusche mit einer Spielzeugpistole. Die Videos werden von Marina Otero kommentiert: Sie erzählt von ihrer Beziehung zu einem Mann („Pablo“) und schildert Episoden psychischer Krisen. Ihre Diagnose: Borderline. Die Inszenierung: Ein Abend über Liebe und „mental health“. Ein Gastspiel, das viel bei mir ausgelöst hat. Vieles thematisiert hat, mit dem ich mich auch identifizieren kann. Eine Aufführung als mein Festivalmoment, in dem ich viele kleine Stücke von mir auf der Bühne erkenne.

Natalia Lopéz Godoy am Altar mit Opfergaben an den Narzissmus, bereitet für „Kill me“, Foto: Mariano de Mendonca