Kann mich jeder hören?

Das Symposium im Hybridformat zum Thema „Sichtbar – Hörbar – Wahrnehmbar“ fragte nach den politischen Handlungsspielräumen von Künstlern mit Behinderung, nach ihrer Sichtbarkeit, gerade in Zeiten der Pandemie. Dabei funkte die Technik mehr als einmal dazwischen – die Diskussion aber, sie brach nicht ab.

V.l.: Linda Müller, Sebastian Urbaniski (auf der Leinwand), Steven Solbrig und Noa Winter. Foto: Holger Rudolph

 

Nach drei Tagen intensiven Theaters ging es am Wochenende los mit einem zweitägigen Symposium im KUZ Mainz, kuratiert von Linda Müller und Jana Zöll. Bei den Themen drehte es sich weiterhin um die zentralen Begriffe „Sichtbar – Hörbar – Wahrnehmbar“ und in mehreren moderierten Expertengesprächen auf Zoom wurden verschiedenste Themen diskutiert. Es gab außerdem ein kleines Publikum vor Ort, das sowohl aus Teilnehmern des Festivals, als auch ein paar externen Besuchern bestand. Trotz ein paar technischen Problemen war es ein sympathisches Durcheinander mit viel Produktivität – und Kaffee gab es auch!

Warte, wollen wir überhaupt ARTivismus machen?

ARTivismus, ein Begriff, der 1997 entstand, vereint die Praxen von Kunst und Aktivismus. Beim Symposium wurde diskutiert, ob die anwesenden Künstler diesen Begriff für ihre Arbeit hilfreich finden – oder nicht. Verdeutlicht wurde, dass die anwesenden Künstler primär Kunst aus reinem Interesse und nicht wegen der politischen Bedeutung, die ihnen durch Vorurteile zugeschrieben werden, praktizieren. Auch bei ARTivismus geht es also mehr um den Zugang zur Öffentlichkeit, um die Sichtbarkeit kreativer Arbeit von Gruppierungen, die das normative Verständnis der Gesellschaft infrage stellen. Die Forderung nach Inklusionsarbeit im Alltag zur Reduktion von Berührungsängsten, zum Beispiel an Schulen, ist demnach erstmal wichtiger als konkret politischer ARTivismus. Nach anfänglichem Misstrauen der Sprecher wurde aber deutlich, dass ARTivismus trotzdem indirekt entsteht, als Nebenprodukt.

Corona, was nun?

Besonders aufklärend war die Diskussion über die Barrieren der Ausweichmöglichkeiten in den virtuellen Raum in der Corona-Zeit. Der Zugang zu digitalen Möglichkeiten ist leider durch viele Barrieren eingeschränkt, Barrieren, die nicht-behinderte Menschen nicht einmal realisieren. Untertitel, Übersetzungen, Dolmetscher und Audio-Deskriptionen sind noch längst nicht so selbstverständlich und zugänglich wie vermutet. Auch das reine Privileg, Zugang zum Internet zu haben wurde in diesem Moment besonders unterstrichen. Wie sieht die Situation wohl für Künstler mit Behinderung global aus?

Das Internet ist ein neuer Raum, ein Raum, der zwar eine große Reichweite bietet, aber auf der Ebene von Inklusion im Moment hart erkämpft wird. Im Hinblick auf die Zukunft ist nicht abzusehen, wie sich die Situation im realen Raum für Künstler mit Beeinträchtigung eventuell durch Corona verschlechtern könnte. Gerade in Bezug auf die Sichtbarkeit ist es also umso wichtiger in Aktion zu treten. “Man muss die Leute ermutigen, denn das ist das Ziel”, sagt der Schauspieler Sebastian Urbanski.

Mehr Sichtbarkeit schaffen, eine Utopie?

Besonders schön fand ich abschließend das Fazit am Sonntagabend, dass Utopien, auch Intersektionalität als Lösung durchaus gewünscht sind. Intersektionalität bietet einen Spielraum für die Entfaltung und Beteiligung von unterschiedlichen Menschen. Das Ziel lautet also weiterhin, den erkämpften Zugang erstmal zu behalten und auch neue Zugänge zu schaffen, um Kategorisierung und Stigmatisierung noch weiter abzubauen.

Finanzielle Förderung ist somit wichtig, aber auch das Plädoyer an die Politik. Aktionen wie #weshallnotberemoved (Großbritannien), für die Unterstützung von Künstlern mit Behinderung in pandemischen Zeiten, oder auch das potenzielle Entstehen von einer großen, globalen Community, die sich für Sichtbarkeit einsetzt, sind nur einige von vielen Ideen.

Und jetzt?

Persönlich sehe ich deutlich, dass die Dringlichkeit von Inklusion als politische Bewegung viel stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken muss. Black Lives Matter und die LGBTQ+-Bewegung zeigen, wie Popularisierung eine Beschleunigung des Sichtbarkeitsprozesses vorantreibt. Die Zugänglichkeit von Informationen und das Platzen der ‘Bubble’, in der Inklusion meistens diskutiert und umgesetzt wird, in Verbindung mit Aufklärungsarbeit, sind wichtig, damit die Utopie näher rückt.

Abschließend lässt sich nur noch die Frage nach der Zukunft stellen. Mit einem großartigen Handlungsdurst beschlossen also die Experten am Sonntag zum Abschluss, dass der beste Weg für die Umsetzung ihrer Utopien eben ein sofortiges Handeln wäre. Für uns als externe Gruppe von Studenten ein vielversprechender Weg. Wir sind deshalb sehr gespannt, wie es in dem Bereich weitergehen wird.