“Ode”: ein eloquenter, eindrücklicher Versuch, eine Antwort auf die Grundsatzfragen der Kunst zu finden: Wer, wie, was? Die Sprache rast, die Gedanken auch.
Der Abend im Zeitraffer: Bunt gestrickte Kostümflecken inmitten eines weißen Planenrunds entfalten sich zu verschmutzter Nylon-Nacktheit zwischen Farbpinseln, Fotos und Flaggen. Gemäßigte Widerspruchs-Bekundungen züngeln sich entlang jeder menschlichen Ausdrucksmöglichkeit hin zu lautstarken Meinungsverschiedenheiten.
Thomas Melles Stück “Ode” in der Inszenierung von Lilja Rupprecht hatte bereits im Dezember 2019 seine Uraufführung am Deutschen Theater Berlin. Auch in der pandemiebedingt überarbeiteten Version bietet es im Kleinen Haus des Staatstheaters Mainz noch eine Menge wort- und bildgewaltige Eindrücke, mit denen das Publikum in den kalten Septemberabend entlassen wird. Doch zurück zum Anfang.
Was, wenn mir die Falschen danken?
Schon zu Beginn schwebt über dem Abend die Frage nach den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Kunst. Beim Einlass schallt den Zuschauer*innen aus unterschiedlichen Richtungen ein Zitat von Bertolt Brecht entgegen, das direkt suggeriert: Sie haben in der Kunst nichts zu suchen: “Aufführungen vor Publikum rufen erfahrungsgemäß nichts als moralische Affekte für gewöhnlich minderer Art beim Publikum hervor.” Wow. Ein hart zu schluckender Brocken.
Die Stimmung wird aufgelockert, als die Schauspieler*innen die Bühne betreten, von Kopf bis Fuß in bunte Strick-Overalls gehüllt. In sich schnell abklatschenden Dialogen kommentieren sie die Enthüllung eines Kunstwerks von Frau Professor Fratzer (Katrin Wichmann). Das Kunstwerk namens “Ode an die alten Täter” ist ein wortwörtliches Nichts und löst gemischte Gefühle aus. Zumal umgehend das Gerücht gestreut wird, das Kunstwerk habe eigentlich “Ode an das KZ” heißen sollen. Sie verliert ihre Stellung, vor allem aber treibt sie die Sorge um, dass die Falschen ihr danken werden, und sie nimmt sich das Leben.
Fortan begleiten wir die Wehr auf der rechten und die Kunstszene auf der linken Seite, wie sie noch Jahre nach Fratzers Selbstmord darüber in Rage geraten, was denn der Mensch und die Kunst nun dürfen. Juliana Götze und Jonas Sippel (RambaZamba Theater) stellen als die Wehr so ehrliche wie treffende Fragen. Dass diese zumeist ungehört verklingen oder aber mit einem einfachen Satz abgetan werden, gibt zu denken. Wieso werden sie nicht weiter behandelt? Wieso werden ihre Fragen nicht gehört, obwohl doch ihre Meinung in der hier skizzierten Gesellschaft als die einzig vernünftige gilt?
Lehrstück in die Fresse!
Dabei allen voran: Orlando (Manuel Harder), der in wütenden Hassreden verteidigt, dass die Kunst und die Künstler*innen doch noch darstellen dürfen und nicht mehr nur sie selbst sein. “Nicht zu wissen, wer ich bin, ist vielleicht meine letzte Freiheit!” brüllt er seiner Spielpartnerin (Katrin Wichmann) entgegen, die sich nicht mehr in andere Figuren hineinversetzen kann und will. Gemeinsam versuchen sie, eine Vergewaltigungsszene nachzustellen, doch die bildlichen Eindrücke der in Nylon gehüllten Körper kommen gegen die Wortgewalt ihres Streitgesprächs nicht an. Im Hintergrund geschieht währenddessen nicht minder Gewaltiges: Auf die noch zu Beginn weißen Planen, die die Grenzen der Bühne und somit der Kunst meterhoch einrahmen, schreibt uns Präzisa (Natali Seelig) seelenruhig Schlagwörter in Großbuchstaben. Doch auch Portraits von Attila Hildmann, Frauke Petry und anderen streitbaren Personen der Öffentlichkeit finden hier ihren Platz. Zwischen ihnen schlägt eine dicke, schwarze Verbindungslinie ihre Haken.
War’s das?
Leider verstummen sowohl Fratzer als auch die weibliche Präzisa im Laufe des Stücks durch Selbstmord und Selbstaufgabe immer mehr, sodass der größere Sprachanteil bei Orlando und Pärzisa (Alexander Khuon) liegt. Obwohl zwischen diesen aufreibenden (Hass-)Reden viele Aussagen stecken, die den Nagel auf den Kopf treffen und zum Nachdenken anregen, verfliegen sie im Geschmack des Mansplainings.
Am Ende bäumt sich Präzisa (Natali Seelig) zu einer letzten Hassrede auf, stellt sich zwischen die in Deutschlandfarben schimmernde Wehr und wird dabei kaum gehört. “Wars das?” fragt die Wehr am Ende der Rede nüchtern. Noch nicht, beantwortet der abschließende Monolog der anderen Präzisa (Alexander Khuon), der einen der wenigen sehr ruhigen Töne des Abends anschlägt, obwohl dabei die Wehr mit Waffen auf ihn zielt. “Es lebe die Kunst!”