Berühr mich. Mit Händen und mit Füßen. Steh mit mir Rücken an Rücken. Leg deinen Kopf an meine Schulter und ich leg meinen an deine. Halt mich fest! Sanft plätschern Klaviertöne durch das Mainzer Glashaus. Dann herrscht mutige Stille, die die Tänzer*innen mit ihrer Präsenz kraftvoll einnehmen. Ändert sich die Musik, so ändert sich auch die Stimmung. Eben noch war sie ruhig und erholsam, jetzt bringen elektronische Beats neue Energie, während Corinna Mindt in großen Bewegungen zwischen ihren Kolleg*innen hin- und hergeschoben wird.
In “Touch me” erkunden die drei Tänzer*innen der Compagnie tanzbar_bremen Neele Buchholz, Corinna Mindt und Oskar Spatz die Möglichkeiten körperlicher Nähe. Mit Elan und Gefühl reißen sie das Publikum mit in ihre Welt. Buchholz und Mindt erkunden einander neugierig. Ihre Bewegungen fragen stumm “Wer bist du?” und springen von Zuneigung zu Skepsis, indem sie sich erst am ganzen Körper berühren, dann aber voneinander wegstoßen. Mindt und Spatz testen spielerisch das Potential zwischenmenschlicher Beziehungen: die Hüften aneinander stoßen, spielerisch auf die Schulter tippen, durch die Haare wuscheln. Selbst wenn jeder für sich ist, sind sie doch beieinander, ob mit Blicken oder durch synchrone Bewegungen.
Das große Panoramafenster der Bühne eröffnet neue Blickwinkel, repräsentativ für die sinnliche Welt, in die der Abend entführt. Außerdem hilfreich für jeden, der rechts sitzt und nicht in der ersten Reihe. Die Bodenlastigkeit auf dieser Seite macht es beinahe unmöglich, das Geschehen zu beobachten ohne aufzustehen. Oder die Reflektion der Glasscheiben zu betrachten. Das Glashaus kann einer Performance ein besonderes Setting geben, aber nie, ohne auf seine Makel aufmerksam zu machen. Ein bekanntes Problem. Zudem dringen anfangs die Pausengeräusche der Gäste herauf, die sich zeitgleich im Großen Haus “Comedian Harmonists” ansehen.
Aber tanzbar_bremen lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Im Gegenteil, das Klirren und Klappern der Theaterbar erscheint plötzlich wie ein Teil der Playlist. Es liefert eine neue Atmosphäre des Einzelnen unter Tausenden und betont die Zweisamkeit der Choreographie zwischen Buchholz und Mindt. Sie beweisen, dass sie die Stimmung angeben, nicht die Musik.
Diese Art der Empfindungsvermittlung beherrschen die Tänzer*innen. Starke Metaphern schlängeln sich durch den Abend. Pinke, flauschige Gummistiefel wandern von Mindts Füßen in eine Ecke, wo später Buchholz mit einigen Mühen versucht hineinzuschlüpfen. Zu einem anderen Moment können und wollen Mindt und Spatz ihre Kollegin Buchholz nicht absetzen und reichen sie immer wieder zwischeneinander hin und her. Egal wie sehr sie sich verrenken müssen, sie werden sie nicht fallen lassen. Darum geht es an diesem Abend: um Zwischenmenschlichkeit, Vertrauen, gemeinsames Dasein.