Inklusion gibt es bei Grenzenlos Kultur nicht nur auf der Bühne. In diesem Jahr bietet das Festival zum ersten Mal Audio-Deskriptionen für Menschen mit Sehbehinderung an. Steffi Colberg und Martin Wimmer haben sie bei der Festivaleröffnung mit „Der Sturm“ vom Blaumeier Atelier getestet. Steffi als Sehende, Martin mit verbundenen Augen. Eine ungewöhnliche Erfahrung.
Martin: Du hast die Aufführung gesehen und gleichzeitig die Hörbeschreibung übers Headset verfolgt, ich habe der Audio-Deskription mit verbundenen Augen zugehört. Hast du dem Verlauf folgen können?
Steffi: Teils, teils. Zwischendurch war es schwierig, das ganze Bühnenbild zu betrachten, denn durch die Audiodeskription habe ich mich immer auf die gerade beschriebene Szene konzentriert und gar nicht mitbekommen, was andere Darsteller auf der Bühne gemacht haben. Wie ging es dir dabei?
Martin: Ich habe nur ein ungefähres Bild von der Bühne bekommen und musste den Drang unterdrücken, mir meine Augenbinde abzunehmen. Über die Hörbeschreibung habe ich zwar immer von Umbauten erfahren, aber konnte sie nicht alle verarbeiten.
Steffi: Ich hatte auch das Problem, dass ich manchmal nicht dem folgen konnte, was die Darsteller auf der Bühne gesagt haben, weil die Beschreibungen sich damit überschnitten haben.
Martin: Ja, das hat sich sehr oft überlappt. Manchmal habe ich mein Headset abgeschaltet, um den Dialogen besser folgen zu können und auch mal meine Fantasie anzuregen, wann, wo und wie sich die Schauspieler in dem Moment auf der Bühne bewegen. Auch wenn die Musik aus der Richtung der Bühne lauter wurde, habe ich es ausgestellt, sonst hätte ich mich einem zu großen Lärm ausgesetzt.
Steffi: Das ging mir ähnlich.
Martin: Konntest du die Rollen den Schauspielern zuordnen? Ich konnte irgendwann niemanden mehr auseinanderhalten. Es gab viele Hinweise auf die Farben und Materialien der Kostüme, über die ich sehr schnell den Überblick verloren habe.
Steffi: Ich habe zwar direkt erkannt, auf wen die Beschreibungen passten, aber das machte es irgendwann schwierig, sich die eigentlichen Namen zu merken. Irgendwann habe ich viele durch das Kostüm zugeordnet und nicht unter deren Namen.
Martin: Ich habe die Aufführung insgesamt als zwei Ereignisse gleichzeitig wahrgenommen: Das, was ich von der Bühne aus gehört habe, und das, was ich übers Headset gehört habe. Wie zwei Ereignisse, die parallel liefen und die ich miteinander in Verbindung setzen musste. Das ging nur sehr langsam, weil ich ja nicht auf meinen Sehsinn zurückgreifen konnte. Bald kam ich nicht mehr hinterher. Und am Ende war ich froh, meine Augenbinde wieder abzunehmen.
Steffi: Mir fiel es auch ein wenig schwer, der Handlung zu folgen. Ich weiß zwar, worum es grundsätzlich ging, aber ich habe so manchen komischen Moment verpasst. Zumindest habe ich manchmal gar nicht mitbekommen, warum das Publikum gelacht hat, weil ich mich auf die Beschreibung konzentriert habe.
Martin: Das ging mir genau so. Wenn ich Shakespeares Sturm nicht vorher schon gekannt hätte, wäre ich wahrscheinlich ziemlich enttäuscht und unzufrieden aus der Vorstellung gegangen. Aber es war trotzdem ein interessantes und spannendes Erlebnis, sich mal für kurze Zeit in die Wahrnehmungswelt eines Menschen mit Sehbehinderung hineinzuversetzen.
Steffi: Als ich das von mir Gesehene mit der Beschreibung verglichen habe, habe ich mich auch direkt gefragt, was wohl für ein Bild entstehen würde, wenn ich jetzt auch nichts gesehen hätte. Ich fand es auch auf jeden Fall sehr aufschlussreich herauszufinden wie so eine Audio-Deskription abläuft. Ich konnte mir vorher nicht so viel darunter vorstellen. Nach der Aufführung kamen auch gleich mehrere Kommilitonen auf mich zu und haben mich gefragt wie es war.