Pro: Das Bremer Blaumeier-Atelier zeigt zum Auftakt von Grenzenlos Kultur vol. 19 „Der Sturm“ frei nach Shakespeare
Langsam gewinnen die zaghaften, säuselnden Töne der Naturgeister an Intensität. Ariel, der Luftgeist, tänzelt zwischen den erstarrten Gestalten umher und entfacht damit den Sturm: Ein gewaltiges Unwetter kracht los, dröhnt in den Ohren, lässt den Boden des Kleinen Hauses des Mainzer Staatstheaters beben. Im Hintergrund treibt die Besatzung des gekenterten Schiffs vorbei. Doch nicht nur im Sturmesbrausen, auch in den ruhigen Momenten illustriert das „Sturmorchester“ den Abend. Kevin Alamsyah, Gerd Anders, David Jehn und Walter Pohl verzaubern die Bühne mit Kontrabass, Horn, Regenmacher und ihren Stimmen.
Schließlich ist „die Insel voll Klang“, wie die Waldgeister singen. Auf ihr herrscht der zauberkundige Fürst Prospero, der vor vielen Jahren mit seiner Tochter Miranda durch Betrug seines machtbesessenen Bruders hierher verbannt wurde.
Auf der spartanisch eingerichteten Bühne ragen kahle Äste in den Himmel. Gemeinsam mit Licht und Musik lassen sie den Wald real werden. Durch diesen irren im Laufe des Abends allerhand Gestalten. Etwa Prosperos Bruder Antonio und König Alonso, die beide für dessen Verbannung und Machtverlust verantwortlich sind. Der Sturm lässt sie kentern. Plötzlich sind alle, an denen sich der Magier rächen will, auf seiner Insel.
Ariel hält die Fäden zusammen
Das Blaumeier-Atelier realisiert seit 30 Jahren mit behinderten und nicht-behinderten Künstlern vielfältige Projekte. Frei nach William Shakespeares Drama „Der Sturm“ von 1611 zeigt die Gruppe eine Zauberwelt, in der alles möglich ist und die Gerechtigkeit siegt. Von seinem rednerpultartigen Zaubertisch aus hält Michael Riesen als Prospero die Fäden in der Hand. Von jeder Intrige der Gestrandeten erfährt er und lenkt mit Hilfe des Luftgeists Ariel das Geschehen, der in seiner Schuld steht. Für den einen wird Ariel dabei zu Amor, für manche zum Beschützer, für andere zum Albtraum. Dabei tanzt Maximilian Kurth erfrischend leicht über die Bühne.
Mit viel Witz stolpert das ungleiche Duo Stephano und Trinculo umher, das zufällig mit auf dem Schiff war. Viktoria Tesar hat als Stephano immer einen lustigen Spruch und ein Lächeln auf den Lippen und ist damit der Gegenpart zu Bärbel Herolds mürrischem und immer misstrauischem Trinculo. Durch den Sturm von den anderen getrennt, treffen sie auf Caliban, das sich ständig beschwerende, gemeine Inselwesen. Frank Grabski legt sich dabei vor allem stimmlich ins Zeug und versucht die Neuankömmlinge dazu zu bringen, die verhasste Herrschaft Prosperos zu stürzen. Doch auch hier ist Ariel zu Stelle.
Doppeltes Happy End
Melanie Socher als Prosperos Bruder und Aladdin Detlefsen als Sebastian, der Bruder des Königs, sind sich anfangs mit ihrer derben Art noch sehr sicher, den Schiffbruch zu ihren Gunsten nutzen zu können. Schließlich sind sie aber ebenso reumütig wie König Alonso und sein treuer Diener Gonzalo.
Mateng Pollkläsener und Dorothe Burhop sorgen als verzweifelt nach seinem Sohn suchender Monarch und dessen Untergebener für liebevoll freundschaftliche Momente, etwa als Gonzalo aus der mitgeschleppten Kiste nicht etwa die vermuteten Herrschaftsinsignien, sondern ein Saxophon zückt und mit La mer den traurigen Herrscher tröstet.
Der Abend ist reich an liebevollen Details, etwa wenn die Vorgeschichte durch Puppen angedeutet wird oder wenn sich Petra Müller und Denise Stehmeier als Königsohn Ferdinand und Prosperos Tochter Miranda beim verliebten Kniffelspiel näherkommen. Neben diesem Liebes-Happy-End verzeiht auch der Magier am Ende des Stücks seinen ehemaligen Widersachern. Er entlässt den Luftgeist aus seinen Diensten und hängt den Zauberhut an den Nagel. Der abgelegte Zaubermantel rasselt noch leicht nach, als Ariel in die Freiheit tanzt.