Bei der Fachtagung „Theaterarbeit: All Inclusive II“ trafen sich zum zweiten Mal Theaterpädagogen und Mitglieder inklusiver Theatergruppen, um mit- und voneinander zu lernen. Eindrücke vom Workshop mit Panaibra Canda
Gerade erst hat Panaibra Canda begonnen die Theorie hinter seinem Trainingsprogramm zu erklären, da läutet die schrille Klingel bereits das Ende der ersten Diskussionsrunde im Glashaus ein. Einige schauen irritiert, andere zucken kurz zusammen, doch keiner der Gruppe möchte an den nächsten Tisch weiterrücken. Wie das denn nun funktioniere, Themen wie Kolonialisierung tänzerisch umzusetzen, wird der Choreograf aus Mosambik gefragt, dessen Arbeit “Borderlines” am Donnerstag und Freitag gezeigt wurde. Obwohl er zuvor durch einen Mitarbeiter des Festivals verlauten ließ, er würde uns lieber zuhören, als dass er wieder rede, vergehen keine zwei Minuten und alle lauschen gebannt seinen Berichten.
“Ich möchte nicht in der Zeit zurückgehen”
Canda möchte seinen Schülern das Werkzeug in die Hand legen, mit dem sie diesen Bereich der Bewegung selbstständig betreten können. Was ihn historisch beeinflusst, wie beispielsweise die Kolonialisierung Mosambiks, erforscht er durch die Gefühle der Tänzer*innen. „Was bedeutet es, kolonialisiert zu sein? Ich übertrage das auf den Tanz, indem ich beispielsweise die Bewegung unter die Kolonialisierung des Tons stelle. Was passiert mit der Bewegung, was macht es mit den Tänzern, wie fühlen sie sich? Ich möchte nicht in der Zeit zurückgehen.“ Er beschreibt, wie er immer größere Einschränkungen für die Tänzer entwickelt. „Was passiert mit der Bewegung, wenn sie dabei etwas auf dem Kopf tragen?“ Seinen Choreografien liegt meist die Geschichte seines Landes zugrunde, Kolonialismus und Bürgerkrieg sind zentrale Themen. Diese bleiben heute außen vor, doch Freiheit und Abhängigkeit bestimmen die Übungen seines Workshops.
Rund 60 Teilnehmer/innen sind zu der Fachtagung „Theaterarbeit: All Inclusive II“ gekommen. Sie poltern von der Tribüne auf U17 in den Bühnenraum und bleiben meist unentschlossen in der Mitte stehen. Das Sich-Entscheiden für einen der Workshop-Teams fällt augenscheinlich schwer. Zwischenzeitlich ist das auch der Verwirrung um die zu dem Zeitpunkt nicht anwesende Darmstädter Gruppe geschuldet, die übereifrig in gleich zwei Ecken des Raumes stellvertretend repräsentiert wird.
“Ich bin hier, um mit euch zu teilen”
Bei Panaibra Gabriel Canda und Mariana Tembe, genannt Maria, finden sich 20 Teilnehmerinnen ein. Die Gruppe ist buntgemischt. Menschen mit und ohne Behinderung, mit und ohne Theatererfahrung, Studentinnen bis Senioren. Dementsprechend unterschiedlich und spannend sind die Paare, die sich bei den folgenden Übungen ergeben. Dass die schwangere Schauspielerin zeitweise mit der Frauenärztin tanzt, ist charmanter Zufall. Berührungsängste und Vorurteile sind nicht existent. Dabei kennen sich die meisten Teilnehmer erst durch das schnelle Mittagessen in der überfüllten Kantine.
Maria übernimmt das Aufwärmen. Während bei der Vorstellungsrunde noch wilde Übersetzungen vom Englischen ins Deutsche stattfanden, ist nun nur noch die Übersetzung ihrer portugiesischen Anweisungen ins Englische notwendig, die vorgemachten Bewegungen erklären sich selbst. Bevor Panaibra die erste Übung erklärt, stellt er noch eines klar: „Ich bin nicht hier um euch zu unterrichten, sondern um mit euch zu teilen.“ Der Schwerpunkt seiner Arbeit ist die körperliche Bewegung: „So viel wie möglich im eigenen Körper erfahren und wahrnehmen“ ist sein Ziel für die kommenden drei Stunden. In Partnerarbeit wird erprobt, den starren Körper des anderen mit Bewegungen des eigenen zu beschreiben und die entstandenen Räume zu entdecken. Immer wieder gibt es kurze Kritik von Panaibra: „Ihr müsst mehr involviert sein! Wenn ihr mit der Hand die Körperform des anderen nachfahrt, dann denkt dran, dass ein ganzer Arm und eine Schulter daran hängen.“
Von Mal und zu Mal werden die Tänzer*innen mutiger, ihre Bewegungen fließender. Diese Sicherheit ist der Verdienst Panaibras klarer Struktur und Marias ruhiger, zuversichtlicher Art. Die beiden schaffen es, jeden immer wieder zu integrieren. Wer zwischendurch aussteigt, wird am Ende mit einem freien Solo wieder in die Gruppe eingeführt.
“Die Verbindung zum Anderen ist wichtig”
Zum Ende hin steht sich die Gruppe in zwei Linien gegenüber. Sie sollen gleichzeitig mit der Raumdurchquerung beginnen, sich in der Mitte kreuzen und gemeinsam die jeweils andere Seite erreichen. Als die Übung wegen verschiedener Tempi nicht gleich funktioniert, kommt dann doch ein wenig scherzhafte Konkurrenz auf. „Wir waren erste!“, rufen die einen. „Das ist kein Wettkampf!“, sagt Panaibra unter lautem Lachen. Auch als die Gruppen beim Kreuzen in Kontakt miteinander treten und sich von den Bewegungen der Körper tragen lassen sollen, betont er immer wieder: „Es geht nicht darum, wer gewinnt oder wer verliert. Es soll ein organischer Vorgang sein, die Verbindung zum anderen ist wichtig.” Ein wenig hat dieser Nachmittag also auch therapeutischen Charakter, wenn Panaibra rät: “Ich sehe noch zu viel Widerstand. Nicht mit dem Verstand arbeiten, sondern mit Gefühl!“