Beim Kinder-Kultur-Fest erfahren Kinder, was es bedeutet, mit einer Behinderung zu leben – und dass man trotzdem sehr viel Spaß haben kann.
“Kraut und Rüben” ist das Motto des Kinder-Kultur-Fests an diesem milden Sonntagnachmittag. Kuchenverschmierte Gesichter schießen durch den Hof des KUZ, das dieser Tage nicht nur Herberge für Bühnenkünstler und Liedermacher ist, sondern auch kleine Festivalgäste mit offenen Armen empfängt. Überall lachen Kinder, schnattern Eltern, und schieben sich Rollstühle wie Kinderwägen in den bunten Haufen geballter Lebensfreude. Gebannt sehen Kinder mit und ohne Behinderung den Puppen des Helmi! bei ihren spannenden Abenteuern zu, erkunden im Dunkel-Café ihre Sinne oder basteln mit Stoff an einer Skulptur herum.
Klar, hier sind nicht alle gleich, aber das wäre ja auch langweilig und ohne die Rollstuhlfahrer gäbe es nicht diese tolle Rampe, auf der es sich so wunderbar herumturnen, rennen und Krach machen lässt. Und auch bunte Kinderkrücken lassen sich prima zu Schwertern oder Hexenbesen umfunktionieren.
Was Inklusion bedeutet
Hier ist Inklusion pur angesagt! Aber was ist das überhaupt und wofür ist das gut? Neben ziemlich vielen Spaß-Stationen bringt eine Art Bücherkino Licht ins Dunkel: Inklusion bedeutet, andere Menschen so anzunehmen wie sie sind und sie Teil von etwas werden zu lassen. Bei einer Lesung mit bunten Bildern und einer Gebärdendolmetscherin erzählt die Autorin Birte Müller eindrucksvoll von dem Leben ihres Sohnes Willi, der das Down-Syndrom hat: Willi kommt von einem anderen Planeten, auf dem alles ein wenig langsamer zugeht als auf der Erde. Als er geboren wird sind seine Eltern sehr traurig und weinen, denn Willi kann nichts von dem, was andere Babies können. Er kann nicht trinken, nicht krabbeln, anfangs nicht mal alleine atmen.
Doch schon bald merken seine Eltern, dass er das auch gar nicht muss. Sie lieben ihn von ganz allein. Willi wird größer – und immer lebendiger. Er geht gerne in den Zoo, ja, am liebsten gleich ganz ins Gehege. Und er macht gerne Musik, auf Instrumenten, Papas Auto oder seiner kleinen Schwester Olivia. Willi liebt es, den Bauern und seine Tiere zu besuchen. Dabei leckt er den Kühen zur Begrüßung über die Schnauze und er ist König im Stur-Sein. Ganz schön anstrengend ist das manchmal, aber es ist auch schön.
“Willi, oh mein Willi!”, ruft Olivia, wenn ihr großer Bruder aus der Schule kommt. Sie liebt ihn sehr, auch wenn bei ihm manches anders ist als bei vielen anderen Geschwistern. Leider ist es auf dem Spielplatz nicht immer einfach: Weil Willis Zunge immer ein bisschen rausguckt, denken andere Kinder, er wolle sie ärgern. Dann spielen sie nicht mit Willi und Olivia oder strecken ihnen die Zunge zurück – und Willi ist traurig.
Das Schwierigste in Willis Leben ist jedoch, dass er nicht sprechen kann. Er muss immer mit den Händen zeigen, was er gerade denkt, fühlt oder will. Mit den Fingern der einen Hand auf den Rücken der anderen Hand tippen bedeutet zum Beispiel Lust auf Kekse.
“Ist doch logisch!” finden die Kinder im Publikum. Alle weiteren, der etwa 15 Gesten, die Birte Müller vormacht, erraten sie in Sekundenschnelle. Und auch, dass Willi behindert und glücklich zugleich ist, sehen sie sofort. Kinder mit einer Behinderung können also doch zu ganz tollen Spielkameraden werden – das mit der Kommunikation wäre ja schon einmal geklärt.
Limo oder Eistee? Zitrone oder Pfirsich?
Aber nicht nur die Lesung vermittelt Eindrücke vom Leben mit einer Behinderung. Im Dunkel-Café kann jeder ausprobieren wie es ist, wenn man sich blind auf andere Sinne wie Riechen, Schmecken oder Hören verlassen muss. Ganz schön komisch ist das: Was ist das kleine runde Ding mit der glatten Oberfläche, das so furchtbar süß schmeckt? Könnte es eine Traube sein? Und der Eistee? Zitrone oder Pfirsich? Das herauszufinden ist gar nicht so einfach. Aber ist es schlimm? Überhaupt nicht!
Auch Das Helmi! ruft bei seiner Vorstellung vom Rotkäppchen zu einem Perspektiv-Wechsel auf: “Sieh das doch bitte einmal anders! Es könnte auch so sein”, schmettern die Puppenspieler in schönschrägen Tönen den kleinen Zuschauern entgegen. Und die fackeln nicht lange, sondern tanzen ausgelassen miteinander. Ob mit oder ohne Behinderung, ist dabei vollkommen egal.