Von Wurst und Männlichkeit

Der Geruch von warmen Würstchen liegt in der Luft. Auf dem Kunstrasen, der auf der Bühne verlegt ist, liegen die Darstellenden auf einer floral gemusterten Decke. Eine Wiese wird auf die Bühnenrückwand projiziert, links davor ein kleiner Imbisswagen. Zur rechten Seite des Publikums steht ein runder Tisch mit einem Kartenspiel und drei weißen Monoblock-Stühlen (Bühne: Wicke Naujoks). Während die drei Männer selbstverständlich bunte Bikinis oder Badeanzüge tragen, entspannt sich Marie Schulte-Werning in einer blauen Badehose. Sie machen ein Picknick, bei dem sie sich über vergangene Liebschaften und Bindungsängste austauschen. Blendet man das Gespräch aus, geht es hier auch um Nacktheit, Scham und Körperbilder. 

Männlichkeitsdiskurse am Imbisswagen: Klaus Herzog, Joshua Zilinske, Marie Schulte-Werning und Leonard Grobien in „Bock“. Foto: Franziska Götze

„Bock“ basiert auf dem gleichnamigen Buch von Katja Lewina und zeigt unter der Regie von Katharina Stoll den Lebenszyklus eines jungen Mannes, der scheinbar nichts von dem verkörpert, was die Gesellschaft von ihm verlangt: trainiert, erfolgreich, spontan, gut im Bett. Joshua Zilinske versucht all das zu sein, bevor er schließlich begraben wird. Der Abend stellt Fragen nach Männlichkeit, Schönheitsidealen und männlicher Sexualität. 

An anderer Stelle dreht der im Cowboylook gekleidete (Kostüm: Wicke Naujoks) Zilinske richtig auf. Zu Beyoncés „TEXAS HOLD ‘EM“, das durch den Saal dröhnt, heizt er tanzend das Publikum an. Kurz darauf randaliert er im Bühnenraum. Er will – mit 52 Jahren – seine Jugendlichkeit zurück, wilde Partys, junge Menschen um sich. Wie sie reden, wie sie rauchen – das fasziniert die Marlboro-Mann-Figur. Doch nach dem Hoch folgt der tiefe Fall: weinend zusammengekauert liegt er auf dem künstlichen Grün der Bühne. Klaus Herzog, Leonard Grobien und Marie Schulte-Werning kommen hinzu, um ihn zu trösten – die Midlife-Crisis lässt sich wohl doch nicht so leicht überwinden. 

Gefangen im Patriarchat, verspüren Männer oft Druck: Selbstoptimierung, Penisgröße, Sex, Pornografie. Darum scheinen sich die Ideale der (Männer-)welt zu drehen. Doch was ist notwendig, um männlich zu sein? Wo fängt Sexualität an? Ist man irgendwann zu alt für Sex? Was, wenn man noch keinen Sex hatte? Was, wenn man Angst davor hat? Was, wenn Man(n) einen kleinen Penis hat, und was ist überhaupt zu klein? Fragen, die das vermeintlich festgelegte Männerbild im Laufe des Abends ins Wanken bringen. Auch sonst findet man in „Bock“ wenige Klischees, die nicht thematisiert werden: Körperbehaarung, geschlechterspezifische Kleidung, Machtfantasien sowie Misogynie in Pornos – hier wird Schablonendenken abgelehnt. 

Zum Schluss fällt dem inzwischen erwachsenen Cowboy seine geplante Spontanität auf die Füße – es bleibt keine Zeit mehr, der Tod ruft an, seine Beerdigung naht. Die drei anderen Darsteller*innen versammeln sich schwarz gekleidet vor einem kleinen Haufen Erde, in dem eine rosarote Blume steckt. Im Vordergrund hält Leonard Grobien einen Monolog über die Diversität des Menschen, die gesellschaftspolitischen Diskurse, die Körper formen, sowie den einen menschlichen Körper, den es durch die gegebene Vielfalt gar nicht geben kann. An die Bühnenrückwand wird die Leiche des Cowboys in Erde liegend projiziert. Ein letztes Mal holt er Luft, reißt die Augen auf und schreit: „Ich will doch noch an die Ostsee!“ 

Männer, die Männlichkeit reflektieren. Foto: Franziska Götz

Glossy Pain kooperiert mit dem Theater an der Ruhr, um Männer über Männlichkeit sprechen zu lassen – auf eine selbstkritische, reflektierte Art voller Leichtigkeit. Von der Geburt, über die wilden Zwanziger, bis zum Tod sind es genau diese Vorgehensweise und der stets wahrnehmbare Wurstgeruch, die den Abend geprägt haben.