Es ist still und dunkel. Dann ist ein leises Brummen zu vernehmen. Marga Kamperman fährt in die Mitte der Bühnenfläche. Das Licht ihres Rollstuhls ist die einzige Lichtquelle, die nach vorne weißes und nach hinten rotes Licht strahlt. Es entsteht eine Art buntes Lichtspiel, wenn sie sich dreht. Sie sagt nichts. Die Stille füllt den Raum und erschafft eine besondere Atmosphäre voller Neugier auf das, was im Anschluss kommen wird.

„Usually I’m On Top“ des Speels Collectief aus den Niederlanden befasst sich mit dem Thema Sexualität, besonders weibliche Sexualität. Das Collectief stellt sich in seiner Performance die Frage, wie das Wörterbuch den Begriff Sexualität definiert. Dafür rufen sie bei der Redaktion des niederländischen Wörterbuches an. Schnell wird klar: Sexualität wird hier als sexuelle Begegnung zwischen Mann und Frau definiert. Natürlich ist das verkürzend und ungenau, obwohl der Begriff so viele Facetten zu bieten hat.
Die sechs Darstellerinnen wechseln immer wieder zwischen Text und Tanz. Auch in der Konstellation auf der Bühne variieren sie und schaffen somit eine angenehme Abwechslung. In den Text-Elementen kommt es regelmäßig dazu, dass sich eine der Darstellerinnen alleine in der Mitte der Bühne platziert, dabei aus ihrer Kleidung einen Brief hervorzieht und diesen vorliest. Es handelt sich hierbei um Briefe an und über den Körper der Darstellerinnen. Sehr privat und verletzlich berichten die Frauen ergreifend über Stellen und Eigenschaften, die sie an ihren Körpern nicht mögen wie Schmerzen oder auch Körperteile, die ihnen nicht gefallen, weil sie nicht in vermeidliche Schönheitsideale passen. Sie berichten aber auch stolz: „Du bist verführerisch und stark.“ Oder: „Dein Gehirn funktioniert richtig gut.“
Kritisch hinterfragen sie nicht nur die Wörterbuch-Definition, sondern auch die Legende vom Märchenprinzen, der kommt, um eine Frau zu retten. Sie stellen die Szene aus Disneys Klassiker „Schneewittchen“ von 1937 nach, in der Schneewittchen vermeintlich tot in einem Sarg liegt und von den Zwergen betrauert wird, bis der Prinz kommt, um sie zu küssen und ihr damit das Leben zu retten. Jede der Darstellenden übernimmt detailgetreu eine Rolle, von Schneewittchen, über die Zwerge, bis zu den Tieren im Wald. Angeleitet wird die Szene sehr stürmisch und hektisch von Femke Arnouts, die anschließend den Prinzen verkörpert. In dieser stark überspitzt und humoristisch gestalteten Szene, rutscht nicht nur mir ein Lachen heraus.
Auch musikalisch kommt man in eine berauschte Stimmung. Die Frauen tanzen und lipsyncen zu Britney Spears „Oops! … I Did It Again“. Sie feiern die hängende Haut im steigenden Alter mit dem Lied „Schudden“ von Def Rhymz und schütteln einmal alles, was sich am Körper schütteln lässt. Gegen Ende kommt es aber auch zu einem sehr gefühlvollen Tanz-Moment. Die Darstellerinnen Femke Arnouts, Marloes Dingshoff und Ella de Coninck tanzen zum Lied „Play With Me“ von Rendezvous At Two. An das Bein des Rollstuhls von Marloes Dingshoff wird ein Seil gebunden, die anderen beiden ziehen sie daran und gleiten gemeinsam durch den ganzen Bühnenraum. Ella de Coninck setzt sich auf Dingshoffs Schoß, sie sind sehr innig und sinnlich miteinander, als Femke Arnouts sie schwungvoll über den Boden fährt. De Coninck bewegt sich grazil und elegant, als zeigte sie Hebefiguren von Eiskunstläufer*innen. Alle scheinen über den Boden zu schweben, lassen jede Bewegung federleicht aussehen.

Eine Überraschung gab es am Ende auch. Nach dem Applaus berichtet Regisseurin Sanne Arbouw, dass das Speels Collectief es wirklich geschafft hat, die niederländische Wörterbuch-Redaktion davon zu überzeugen, eine passendere, zeitgemäßere Definition des Wortes Sexualität zu finden. Ulrike Doszmann übersetzt es mit den Worten: „Sexualität bedeutet: jegliche körperliche Aufregung und Erregung und alle körperlichen Gefühle, die damit einhergehen.“ Eine Beschreibung, die auf jeden Fall zufriedener stimmt.