Den Dingen die Luft nehmen

„Britney’s Fears“, eine Kooperation zwischen dem Theater Bremen und dem Blaumeier-Atelier, erzählt von den Kämpfen weiblicher Popstars. Ein Gespräch mit Dramaturg Stefan Bläske und Schauspielerin Viktoria Tesar über Entmüdnigungen, Stadttheaterlogiken und Feminismus.

Was hat euch so an Britney Spears interessiert, dass ihr ein Stück über sie entwickelt habt?

Stefan Bläske: Die Idee kam von der Regisseurin Anne-Sophie Domenz. Ich fand sie interessant im Hinblick darauf, dass Britney Spears 13 Jahre in Vormundschaft gelebt hatte und in der Zeit unter anderem auch keine Kinder bekommen durfte. Das fand ich als Ausgangspunkt gut für unsere Kooperation mit dem Blaumeier-Atelier, wo das Thema Freiheit oder Vormundschaft Personen direkt betrifft: Was darf man, wer bestimmt für einen? Ich selbst komme aus dem dokumentarischen Theater und dachte, dass man daraus Themen und Stoffe entwickeln könnte. Die Regisseurin hat sich aber viel mehr für die feministischen Aspekte von Britneys Leben interessiert. Was ist die Situation von Frauen im Showbusiness, welche Geschlechts- und Rollenbilder werden produziert, warum ist das Patriarchat auch im Musikgeschäft noch immer so dominant, dass selbst die starken und erfolgreichen Frauen darunter leiden? Neben Britney Spears haben wir dann auch mit Texten von Lady Gaga, Taylor Swift, Madonna und Pink gearbeitet, mit den empowernden Reden, die sie gehalten haben.

Wie kam die Kollaboration zwischen dem Blaumeier-Atelier und dem Theater Bremen zustande?

SB: Es gibt seit zehn Jahren regelmäßige Kooperationen zwischen dem Theater Bremen und dem Blaumeier-Atelier. Die bestanden bisher vor allem darin, dass das Blaumeier-Atelier das Mittenmang-Festival bei uns ausrichtet, oder mit anderen Veranstaltungen und Galen zu Gast war, oder unsere Spielzeitfotos gemacht hat. Aber es gab bislang noch keine richtige Theater-Kollaboration. Daher lag es in der Luft, etwas zusammen zu machen. Auch Sophie Domenz hat sich das seit längerer Zeit gewünscht. Mit „Britney’s Fears“ hat endlich geklappt, was sich über zehn Jahre angebahnt hat.

Stefan Bläske, Viktoria Tesar und Pauline Michel im Gespräch. Foto: Holger Rudolph

Viktoria Tesar: Für uns vom Blaumeier-Atelier war es auch eine spannende Idee, mit dem Theater zu kooperieren. Blaumeier hat die Erfahrung im inklusiven Bereich – mit den Menschen zu arbeiten, dass sie ins Licht kommen und einfach stark sind. Und Anne Sophie Domenz hat die Stärke, das in eine Richtung zu bringen, die Themen anspricht, wo es für alle interessant wird: Was ist eigentlich Feminismus und wie betrifft mich das selbst? Oder wie betrifft das die Menschen, die im Atelier sind? Die Performer*innen vom Blaumeier-Atelier, die bei „Britney’s Fears“ mitmachen, sind sehr stark. Sie können ihre Meinung äußern, sagen, was sie wollen, was sie nicht wollen. Sie sagen, ey, das geht jetzt nicht, da komme ich nicht mit. Kannst du das nochmal erklären? Ich finde, das ist auch eine interessante Weise zusammenzuarbeiten und miteinander anzuecken. Das ist nicht easy, das ist auch eine heftige Arbeit, weil es nicht immer Lösungen gibt. Es braucht viel Raum.

Viktoria, gab in der Zusammenarbeit mit dem Theater Bremen Unterschiede zu eurer üblichen Arbeitsweise als Blaumeier-Atelier?

VT: Die gab es auf jeden Fall. Der Fokus ist bei uns einfach ein anderer. Es geht viel mehr darum, nach dem Interesse der Gruppe zu gucken. Unsere Schauspieler*innen kriegen die Hauptrollen und die füllen sie auch. Wir geben ihnen die Verantwortung für das, was sie tun möchten.

Was habt ihr in der Zusammenarbeit bei „Britney’s Fears“ gelernt?

SB: Meine Lektion ist, dass wir als Theater Bremen zu sehr in unserer Logik geblieben sind: Dass wir zuerst eine Regisseurin anfragen, die sich für einen Stoff entscheidet, dann das Team zusammenstellen. Auch wenn wir ein paar Monate vorher begonnen haben, einander kennenzulernen und einmal die Woche zusammen zu proben, gab es dann letztlich einen Intensivprobenblock von acht Wochen. Das war zu geballt, zumal es eine Produktion Open Air auf dem Theatervorplatz war, mit langen Wegen und sehr komplex. Wir hätten das Stück länger gemeinsam entwickeln sollen – auch das Thema nicht vorgeben, sondern zusammen entwickeln.

Was hat es mit Britney Spears’ „Fears“, also ihren Ängsten auf sich?

VT: Britney Spears hat wahnsinnig viele Talente und hat das voll rausgehauen – Choreografien, Lieder, Performances. Und das wurde ausgenutzt und missbraucht. Sie war ständig Paparazzi ausgesetzt, in jeder Situation. Die waren immer auf der Suche nach Momenten, in denen sie zerbrechlich ist. Sodass sie sich immer wehren musste gegen die Außenwelt. Die größte Angst, die sie hatte, war, dass ihr ihre Kinder weggenommen werden. Das ist dann auch passiert. Es war Britney Spears damaliger Mann, der ihr das Sorgerecht für ihre Kinder nahm. Weil er behauptete, dass sie dazu nicht fähig sei. Und dann kommt sie in die Psychiatrie. Warum? Weil die denken, die ist nicht ganz richtig. Nur weil sie tut, was sie tut. Sie hat versucht, die Kinder zu behalten. Sie hat sich eingesperrt ins Badezimmer, damit der Typ sie nicht holt. Wow. Dankeschön. Sie hatte keine Sicherheit mehr und die ganze Freiheit war weg.

Wie zeigt ihr das im Stück?

VT: In einer Szene im Stück spiele ich die dunkle Prinzessin, Britneys dunkle Seite. Ich sitze in einer Kutsche und singe „Toxic“. In dem Lied geht es viel um Sexualität und „Liebe“ – aber eher im Ausmaß der Erotik. Und das wird für sie richtig gefährlich. So war es in ihren Beziehungen auch. Meiner Empfindung nach ist sie sehr sauer in diesem Lied, weil sie enttäuscht und fallen gelassen wird. Der Typ, mit dem sie zusammenkommt, nutzt seine Machtposition aus. Diese Liebe und das Versprechen „Ich liebe dich“ sind so porös, eigentlich erstunken und erlogen. Für die Figur in dieser Situation ist es so: Ich liebe jemanden und der missbraucht mich so dermaßen, ich schnall das nicht mehr, weil ich so verliebt bin, und BAM, da haut er mir eine rein.

Ich kann mich noch gut erinnern, als ich Kind war und Lieder von Britney Spears Hits wurden. Was ist euer Verhältnis zu Britney Spears?

VT: Ehrlich gesagt, ich habe das gar nicht mitgeschnitten. Ich bin 62 Jahre alt und war mit anderen Dingen beschäftigt. Ich gehöre zu einer anderen Generation. Aber umso mehr berührt mich ihre Geschichte. Man denkt, Sexismus, Bevormundung, Ausbeutung – das gab es alles mal, aber das ist jetzt vorbei. Das gibt es aber eben immer noch im Showgeschäft und auch andernorts: die Entmündigung von Menschen, die angeblich nicht auf ihren Füßen stehen können und dann noch mehr geschädigt werden.

Welche Rolle spielt ihre Musik in dem Stück?

SB: Der Abend besteht aus vielen Songs und 90 Prozent sind von Britney Spears. Bei den Monologen haben wir es anders gemacht. Es gibt einen langen Text von Britney Spears, aber auch einen von Taylor Swift und von Madonna und kürzere von Pink und Lady Gaga. Uns war wichtig, auf der Textebene zu zeigen, dass es viele Frauen im Showbusiness betrifft; dass es verschiedene Formen der Unterdrückung, Entmündigung oder einfach des Patriarchats gibt, mit denen sie konfrontiert sind. Aber musikalisch ist es ganz viel Britney.

Was ist euer Lieblingsmoment im Stück?

VT: Ich liebe es, wenn Aladdin Detlefsen sein Solo zu „… Baby One More Time“ tanzt.

SB: Aladdin nimmt sich als Erster den ganzen Raum, kommt die große Showtreppe runter und rennt im Halbkreis, um das ganze Publikum abzuklatschen. Wir haben das Stück ursprünglich auf dem Vorplatz vom Theater Bremen erarbeitet. In der Bühnenversion ist die Szene kleiner geworden, weil es nicht mehr darum geht, den ganzen Theatervorplatz und ein Publikum im Halbkreis zu begrüßen. Was ich auch sehr mag, ist, wenn es ganz am Ende des Stückes – nach großen Shownummern – intim wird und leise.

Wo unterscheidet sich die Open-Air Version von der Vision auf der Theaterbühne noch?

VT: Das Flugzeug und die Kutsche gehören draußen wirklich hin, logisch. Die Bühnenelemente haben dort viel Magie. Drinnen kommen wir dichter zusammen. Es ist viel komprimierter – als würden sich mehr Fäden zwischen uns spannen. Die Bühne fühlt sich dann gefüllt an. Das hat eine große Qualität.

Was genau passiert mit dem Flugzeug?

VT: Das Flugzeug ist aufblasbar. Das kollidiert draußen mit einem Laternenpfahl. Es gibt ein Unglück und dann stürzt es ab.

SB: In der Indoor-Version ist das noch deutlicher, weil das Flugzeug gegen die Wand fliegt. Das Flugzeug zitiert das „Toxic“-Musikvideo, in dem Britney eine Stewardess ist, und steht symbolisch für Höhenflug und Absturz.

VT: Dann geht die Luft raus.

SB: Das ist der Moment, in dem Shirin Eissa einen Monolog von Britney Spears hält. Es ist der Text, den sie vor Gericht vorgetragen und mit dem sie sich aus der Vormundschaft befreit hat.

VT: Währenddessen schmeißt Shirin Eissa sich in dieses kollabierende Flugzeug rein, rollt es zusammen und befreit sich. Sie schafft es, den Absturz zu überwinden und sich daraus zu befreien. Das ist ein starkes Bild: Dass die ganze Luft rausgeht aus den Dingen, die einen unterdrücken – den Dingen die Luft zu nehmen, damit sie selbst leben kann.

Ich habe an anderer Stelle gelesen, dass ihr in dem Stück alle Britney wärt. Wie ist das gemeint?

VT: Ich denke, dass jedem von uns Ketten umgelegt werden, von denen wir uns befreien müssen. Du musst dich behaupten und durchsetzen. Du wirst behindert in deinen Fähigkeiten, weil es irgendwelche Vorurteile gibt, dass du dies und das nicht kannst, weil du blablabla bist. So gehört das für mich zusammen.

Was ist Euer größter Britney-Spears-Hit?

VT: Das Abschlusslied, das wir singen und bei dem wir alle vertreten sind und in einer Reihe auf der Bühne stehen. Es ist eine Mischung aus „Oops! … I did it again“ und „… Baby One More Time“. Daneben ist auch „Toxic“ für mich ein großes Lied. Sicher, weil ich nie dachte, dass ich schaffen würde, es zu singen. Das ist echt anspruchsvoll und mit dieser Power. Mittlerweile singe ich es total gerne.

 

In „Britney’s Fears. The Making of: A Princess“ spielen Shirin Eissa, Aladdin Detlefsen, Maximilian Kurth, Viktoria Tesar, Sofia Iordanskaya, Stephanie Schadeweg, Lea Baciulis, Lucas Bartz, Dorothe Burhop, Hanna Michelsen vom Blaumeier-Atelier und dem Theater Bremen, sowie die Blaumeier Band Fransen mit Kevin Alamsyah, Wulf Boockmeyer, Christian Gau, Wanja Lange, Walter Pohl, Holger Spengler und Thomas Terbrack. Uraufgeführt wurde „Britney‘s Fears“ am 18.05.2025 auf dem Vorplatz des Theater Bremen.