Triggerwarnung: Im Text werden die Themen Tod und Sterben behandelt.
„Until I die.“ Als ich das Kleine Haus an diesem Samstagabend betrete, werde ich von diesen Worten empfangen, die in der Einlassmusik aus den Lautsprechern ertönen. Sie bereiten mich zugleich auf die Themen vor, die in der Performance „Welt ohne uns“ vom Theaterensemble Meine Damen und Herren zusammen mit Skart & Masters of the Universe verhandelt werden sollen: der Tod und das Sterben.
Das Bühnenbild unterstützt diesen ersten Eindruck. Direkt vor meinen Augen befindet sich ein großer Haufen Torf, der aussieht wie ein Grabhügel. Hinten rechts steht ein Schwimmbecken, in dem sich etwas befindet, das ich als braunen Modder bezeichnen würde. Auf einer großen weißen Wand im Hintergrund finden sich Bilder von menschlichen und tierischen Knochen und Skeletten, collagiert mit Bildern von mikroskopisch vergrößerten Bakterien in verschiedenen Farben. Davor steht ein großer Baum, dessen Krone aus zerfetzten grünen Regenschirmen besteht. Das fällt mir erst auf, als eine Performerin zu Beginn des Abends ganz genau beschreibt, was sich auf der Bühne befindet. Dabei sieht das Publikum zu, wie noch letzte Elemente ergänzt werden. So wird zum Beispiel ein Beutel mit Maden oder Mehlwürmern, die zu meinem Erleichtern tot zu sein scheinen, von zwei Performerinnen an einem Seil an der Decke aufgehängt. In der Bühnenmitte befindet sich eine Art unförmig befülltes Pendel aus Latex. Das Bühnenbild hält auf jeden Fall einige Überraschungen bereit.
Wie das Bühnenbild überraschen auch die Kostüme der Darsteller:innen: Vom Latexanzug oder oberkörperfrei über ein gelbes Ballkleid bis hin zu einem Totengewand. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir die Feinstrumpfhose, die eine der Darsteller:innen wie zwei langgezogene Kaninchenohren auf dem Kopf trägt.
„Wenn du aus dem Fenster springst, dann zerspringt die Seele wie ein Porzellanteller“ – eine ziemlich poetische und zugleich schmerzhafte Vorstellung davon, was passiert, wenn jemand aus dem Fenster springt, oder nicht? Mir gefällt der Vergleich. Bisher habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht, was mit mir oder meiner Seele passiert, wenn ich irgendwann einmal sterbe. Zerspringt sie wie Porzellan? Oder schwebt sie einfach davon? Und was passiert mit meinem Körper? Werde ich von Erdtierchen zerfressen oder löse ich mich vielleicht einfach in Staub auf? Gibt es ein Leben danach?
Die Darsteller:innen stellen sich in „Welt ohne uns“ ganz ähnliche Fragen. Mit mal mehr, mal weniger poetischen Vergleichen stellen sie eine Collage über den Tod und das Sterben zusammen, die für mich angenehm kitschfrei daherkommt. Die Inszenierung hat sein ganz eigenes Tempo, arbeitet viel mit Wiederholungen und der eigenen Dauer, die die Bühnenvorgänge nun einmal brauchen. Es wird philosophiert, getanzt, geschrien, geweint und geschwiegen. Die Bühne des Kleinen Hauses muss an diesem Abend einiges mitmachen. Mehlwürmer regnen auf den Boden herab, Asche wird gegessen und ausgehustet, Eisblöcke werden zerschmettert und der braune Modder aus dem Becken verteilt sich großflächig auf dem weißen Untergrund, als ein Darsteller daraus in die Luft gezogen und wieder hinuntergelassen wird.
Auch die Leistung der Performer:innen hat mich zutiefst beeindruckt. Die Inszenierung verlangte teils extreme Köperbeherrschung oder körperliche Anstrengungen. So liegt beispielsweise eine Performerin beinahe die gesamte Aufführung reglos auf dem Torfhügel, während sie eine mexikanische Totenbemalung erhält. Sie rührt sich nicht von der Stelle, bis ihr Auftritt ganz am Ende des Abends gefordert wird. „Das bisher Bekannte ist weg“, sagt sie. „In der Dunkelheit brauche ich keine Augen mehr.“ Dann ist der Abend beendet. Und was ist mit dem Mann aus dem Modder – hat er die gesamte Perfomance über dort gelegen?
„Welt ohne uns“ führt mir vor Augen, dass nichts für immer ist. Alles ist vergänglich. Alles ist sterblich. Und es gibt hunderte unterschiedliche Wege, mit Tod und Sterben umzugehen. Sie alle sind legitim. Es gibt keine Formel für das Sterben. Auch nicht für das Trauern. Und es ist in Ordnung, Angst davor zu haben. Ich verlasse das Theater mit einem Lächeln auf den Lippen. Nachdenklich, aber nicht bedrückt. Vielleicht sollte ich mir selbst noch einmal Gedanken darüber machen, was Sterben eigentlich bedeutet.