Was war anders bei der Planung des diesjährigen Festivals? Ein Gespräch mit den Kurator*innen Andreas Meder, Steffen Sünkel und Lis Marie Diehl über die Herausforderungen und neuen digitalen Möglichkeiten bei der Gestaltung des Grenzenlos Kultur Festivals vol. 22.
Anika Tomaszewski: Würdet Ihr euch einmal kurz vorstellen?
Andreas Meder: Ich habe 1995 angefangen mit dem Projekt Grenzenlos Kultur. Damals wurde ich gefragt, ob ich nicht eine Kulturwoche machen möchte. Ich war gerade mit der Uni fertig, es war ein guter Moment und dachte, das ist bestimmt spannend. Das erste Festival 1997 war dann so groß, so toll und so erfolgreich, dass wir weitermachen mussten. Jetzt sind wir in der 22. Ausgabe und ein Ende ist nicht abzusehen.
Steffen Sünkel: Ich bin jetzt zum ersten Mal bei dem Grenzenlos Kultur Festival als Kurator dabei und bin Dramaturg. Ich habe am Schauspielhaus in Hamburg gearbeitet, bin Ensemblemitglied an der Berliner Volksbühne und Co-Intendant vom RambaZamba Theater.
Lis Marie Diehl: Ich habe schon in der Vergangenheit für das Festival gearbeitet, allerdings eher im Bereich Produktionsleitung, und arbeite jetzt bei dem inklusiven Netzwerk barner 16 und dem Ensemble Meine Damen und Herren in Hamburg. Zudem bin ich auch Teil der Gruppe I CAN BE YOUR TRANSLATOR aus Dortmund. Aufgrund eines Corona-Telefonats sozusagen, bin ich dieses Jahr auch wieder zum Team gestoßen, um die Gala “Big in Mainz tonight” und auch das Programm zu planen.
AT: Wie fühlt es sich an, eines der ersten Festivals zu sein, das seit dem Lockdown wieder startet?
AM: Es fühlt sich für mich zunehmend besser an. Ich verliere etwas meine Ängste. Aber im Vorfeld fand ich es schon belastend, alles neu zu denken. Ein Festival wird ja aufgrund von Erfahrungen aufgebaut und gestaltet, aber für diesen Fall einer Pandemie gab es keine Erfahrungen. Plötzlich muss ein Internetprogramm organisiert werden, aber wie geht das? Für sich genommen alles überschaubare Probleme, aber in der Summe fand ich sie bedrohlich. Aber jetzt, in der Sonne und in Mainz angekommen, freue ich mich drauf.
SS: Wir hatten uns natürlich ein ganz anderes Programm überlegt und geplant, mit dem Schwerpunkt Südamerika und Schweden, der nun nicht mehr möglich war. Es gab eine große Unsicherheit, und wir haben lange überlegt, ob und wie wir weitermachen. Schließlich haben wir entschieden, das Festival kürzer zu machen, eine neue digitale Sparte zu erfinden, die sich in dieser Lockdown-Zeit auch in den Häusern entwickelt hat und eine Mischung aus analogem und digitalen Programm zu schaffen. Wir eröffnen mit einer Gala, in der wir die deutschsprachigen inklusiven Gruppen zusammen auf eine Bühne bringen. Das gab es noch nie. Ich glaube, das wird ein ziemlich großer Aufschlag. Die Reihe Salzburger Festspiele, Kunstfest Weimar und Grenzenlos Kultur kann sich sehen lassen !
LMD: Ich hätte es furchtbar gefunden, wenn die Theater wieder öffnen, aber die Künstler*innen mit Behinderung nicht dabei sind. Für mich gab es also vor allem politische Gründe, das Festival auch in diesem Jahr stattfinden zu lassen. Allerdings waren die Vorbereitungen komplexer, und wir selbst sind angespannter als gewöhnlich.
SS: Mir hat es unglalubliche Zuversicht gegeben, als am RambaZamba Theater die Schauspieler*innen wieder die gemeinsamen Proben aufgenommen haben – natürlich mit Abstand –, und wir uns wieder begegnet sind. Da hatte ich das Gefühl, dass wir aus diesem Lockdown gemeinsam auch wieder herauskommen. Auch Grenzenlos Kultur ist eine Möglichkeit, wieder sichtbar zu werden, weil viele Gruppen in ihren eigenen Spielstätten nicht mehr spielen können, weil diese zu klein sind oder die Lüftungsanlage nicht ausreichend ist.
AT: Wie war Euer Prozess der Zusammenstellung des Programms in Hinsicht auf Corona? Habt ihr digital oder analog zusammengearbeitet?
AM: Als Kind des 20. Jahrhunderts musste ich erstmal lernen, wie skypen geht, aber als ich das verstanden habe, haben wir uns regelmäßig zum Skypen getroffen und haben dabei zum Beispiel auch Lis Maries Umzug miterlebt. Es war ungewohnt, aber es führt fast zu mehr Effizienz, weil man sich auf diese Termine gut vorbereiten muss und nicht tagelang im Büro rumlümmelt.
SS: Aber man muss ehrlich sagen, dass wir uns gestern Abend alle zum ersten Mal tatsächlich an einem Ort getroffen haben.
AT: Manche Personen aus den teilnehmenden Gruppen gehören zur Risikogruppe von Covid-19. Welche Veränderungen ergeben sich dadurch?
AM: Viele Künstler*innen kommen nicht. Viele Menschen im Rollstuhl mit körperlichen Einschränkungen beispielsweise verstehen sich selbst als Teil einer Risikogruppe und möchten nun ihr Haus nicht mehr verlassen, bis es einen Impfstoff gibt. Jana Zöll, die das Symposium mitkuratiert nimmt zwar Teil, aber per Videokonferenz. Die Künstler*innen, die anreisen, gehören nicht zu einer Risikogruppe.
LMD: Die größte Schwierigkeit ist, dass noch unklar ist, wer wirklich ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf hat. Das ist das eine. Und natürlich gibt es Einschränkungen dadurch, dass die Gruppen RambaZamba und Meine Damen und Herren zu Werkstätten für Menschen mit Behinderung gehören, deren Hygienekonzept wir auch beachten müssen. Letztlich müssen wir entscheiden, ob wir die Teilhabemöglichkeiten und die Sichtbarkeit dieser Gruppen einschränken wollen und müssen. Dabei gibt es momenante noch zu wenig Wissen, an dem wir uns orientieren können.
SS: Aber auch die Inszenierungen haben sich verändert: “Ode” vom Deutschen Theater Berlin wurde produziert, als noch keiner das Wort Corona kannte. Die Regisseurin Lilja Rupprecht musste das Stück um-inszenieren, weil die Abstandsregeln auch auf der Bühne gelten
AT: Welche Möglichkeiten seht Ihr, auch längerfristig, in den neuen digitalen Konzepten?
AM: Ich sehe Theater in erster Linie als ein Live-Ereignis an. Ich habe mir auch in den langen Wochen des Lockdowns nichts im Internet angesehen. Ich glaube trotzdem, dass es vermehrt Formate geben wird, die im Internet funktionieren. Allerdings hoffe ich, dass wir im nächsten Jahr wieder ein pralles, inklusives, internationales Theaterfestival veranstalten können.
LMD: Ich glaube schon, dass die digitalen Formate für unser Festival Potenzial haben, auch aus Gründen der Teilhabe. Der Lockdown hat gezeigt, wie ausgeschlossen Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung aus dem digitalen Raum sind. Es ist ein Feld, bei dem man aufholen kann – auch als Festival. Zumal sich die Ensembles untereinander auf digitaler Ebene gut austauschen können. Wenn man das in Zukunft nach Belieben mischen könnte, wäre das super.