Seine Stimme klingt wie ein rostfarbenes Seufzen: Ach, hört man, selbst wenn er nicht Ach sagt. Stattdessen spricht er vom Mord an John F. Kennedy, und man denkt: Ach. Man hört von getrennten Schwestern. Ach. Von einer – offenbar einseitigen — Liebe zu einer Barbiepuppe. Ach. Und doch ist das alles nicht traurig, im Gegenteil: Dennis Seidel ist ein begnadeter Komiker und Komödiant.
Ich treffe Seidel am Tag nach seiner Vorstellung von Der Tag, an dem Kennedy ermordet wurde und Mimi Kennedy Präsidentin wurde in der Kantine des Mainzer Staatstheaters. Auf dem Tisch liegt neben seinem Teller die Errungenschaft des heutigen Tages: Janina, eine Barbie-Puppe. Im Verlauf des Gesprächs kommt eine seiner Kolleginnen zu uns und scherzt über den Zugewinn. Seidel rechtfertigt seine Sammlung: Für seine Stücke ist es wichtig möglichst viele verschiedene Puppen zu besitzen. Er wählt sie nach der Ähnlichkeit zu seinen Mitspielerinnen aus. Im Spiel erhalten sie durch ihn eine Stimme, höher als die seiner eigenen Rolle, und werden zum aktiven Bestandteil der Inszenierung. Der Puppenspieler wird in seinen Stücken selbst zur Frau; etwas, das ihm als Kind bereits gut gefallen hat.
Wie in Ordinary Girl, als er in lässiger Strickmütze und weißem Rock als Angelina wehmütige Lieder sang. Wie in “Kennedy”, wo er als Journalistin Liv Split mit platinblonder Perücke auf der Bühne unter Mordverdacht gerät. Bei “Kennedy” zeichnet er auch für Text und Regie verantwortlich. Die Doppelpräsenz als Schauspieler und Regisseur ärgert ihn manchmal: “Ich hätte mir das Stück schon gerne von außen angesehen, aber ich musste ja mitspielen”, seufzt er. Eine Diva ist er also auch.
Seine Ideen sammelt Seidel im Alltag aus Ereignissen, die ihn begeistern oder bewegen. Zu Beginn der “Kennedy”-Recherche hat er sich Videos des Anschlags angesehen. Und auch wenn das Stück viel Platz für Humor lässt, betrübt ihn der Vorfall an sich: “Meine Eltern waren damals schon auf der Welt, die mussten das sogar direkt mitbekommen.”
Dennis Seidel ist bereits seit 15 Jahren Ensemble-Mitglied von Meine Damen und Herren in Hamburg, einem 1995 gegründeten Theaterensemble von professionellen Schauspielern mit geistiger Behinderung – und das erste, das auch als Regisseur tätig wird. Seine Texte schreibt er allein und wählt ebenso die richtigen Besetzungen für die Rollen aus. Außerdem ist er ein eindeutiger Vertreter der Frauenquote: Sein neues Stück soll ein Western werden. Der einzige männliche Part ist ein Pferd.