Drei außergewöhnliche Zweikämpfe: In “Eins zu Eins” von Meine Damen und Herren aus Hamburg bringen die Darsteller*innen sich an ihre Grenzen.
20 Sekunden können ziemlich lang sein. Etwa wenn der Performer Michael Schumacher eine Choreografie von Antje Pfundtner tanzt, mit groben, ungelenken Bewegungen, Gesten, die eher angedeutet als ausgeführt werden. 20 Sekunden waren angekündigt. Nach gefühlten Minuten erinnert ihn Pfundtner an die Zeit. Darauf Schumacher: „Man soll ja aufhören, wenn es am schönsten ist.“
Das ist so brüllend komisch wie viele Momente in “Eins zu Eins” der Hamburger Gruppe Meine Damen und Herren. In drei Szenen begegnen sich je zwei Performer*innen – auf Augenhöhe. Ihre Unterschiede, die gegenseitige Spiegelung und Konfrontationen schaffen einen realistischen Blick auf das zeitgenössische Leben, sagt das Programmblatt. Unterschiede können wunderbar befruchten, zeigt die Bühne.
Denn dass eine*r jeweils eine Behinderung hat, der oder die andere nicht, wird bei dieser Uraufführung im U17 des Mainzer Staatstheaters durchaus thematisiert. Wenn Friederike Jaglitz und Cornelia Dörr in Gymnastik-Badeanzügen aufeinandertreffen und gegenseitig ihre (vermeintlichen) Schwächen präsentieren, dann sind auch Tiefschläge dabei: Einmal weist Dörr auf Jaglitz’ Überbiss hin, erfindet eine Geschichte dazu. Nur: Jaglitz gibt es Dörr durchaus zurück. Verbal, körperlich. Und dann, plötzlich, in den Rollen von Maria und Elisabeth, den beiden unerbittlichen Königinnen aus Friedrich Schillers “Maria Stuart”.
Das Zentrum der Bühne ist eine Kampfarena, um die drei Sportbänke stehen, wo die drei Paare – im Ringerdress, im Tennis-Outfit und Fechtuniformen – auf ihren Einsatz warten. Wie hier die drei Paare mit Witz und Keckheit aufeinanderprallen, ohne dabei ins Lächerliche zu verfallen, ist beeindruckend. Etwa bei Schumacher und Pfundtner, die sich – analog zum Tennisdress – bald auch verbal die Bälle zuspielen. Sie sitzen auf zwei Hockern und starren ins Publikum. Schumacher bricht immer wieder das Schweigen mit einer charmanten Frage nach der Anderen, um irgendwann nachzuhaken: “Möchtest du vielleicht auch mal etwas über mich wissen?” Dann bewegen sie sich halb improvisiert, halb choreografiert durch den Raum, verfallen immer wieder in Zitate aus “Romeo und Julia”, geben einander Spielbefehle. So kommt es, dass Pfundtners Aufforderung “Sei witzig!” Schumacher wie wild im Kreis rennen lässt, er innbrünstig lacht und dabei immer wieder seine Hose verliert.
Eine Herausforderung ist der Beginn der dritten Begegnung: Sieben Minuten dauert das auf die Töne beschränkte Flötenspiel von Tim Borstelmann – eine kleine Ewigkeit. Dann sagt er trocken: “Gute Dinge brauchen ihre Zeit.” Danach setzen er und Franz Rogowski Fechthelme auf, die zwei Akteure gehen in wiegenden Schritten aufeinander zu, verkeilen sich in einer Rangelei. Ist ihr ekstatisches Stöhnkonzert Lust, Wut, Anstrengung? Da der Kampf keine Entscheidung bringt, versuchen sie es mit Frieden, singen so zärtlich wie ironisch Michael Jacksons “Heal the world”, machen einander urkomische Komplimente, bis sie sich schüchtern und zaghaft küssen und gemeinsam der Sonne entgegengehen.
So zeichnet der Abend von Meine Damen und Herren drei Doppelporträts einzigartiger Menschen: “We could fly so high, let our spirits never die, in my heart I feel you are all my brothers”. Gemeinsam ist die Devise! Und dabei leuchtet eine Schauspielkunst, die das Publikum amüsiert – und zutiefst berührt.