Panaibra Gabriel Canda ist einer der wichtigsten Choreografen Afrikas. In seinen Arbeiten thematisiert er Umweltverschmutzung und den Identitätswandel in seinem Heimatland Mosambik – auch bei Grenzenlos Kultur, wo er in diesem Jahr mit „Metamorphoses“ und „Time and Spaces – The Marrabenta Solos“ gastierte, 2015 mit „Borderlines“. Eben noch befand er sich mit vollem Körpereinsatz im U17 des Mainzer Staatstheaters und tanzte sich durch den politischen Wandel in seinem Heimatland. Jetzt, eine halbe Stunde später, sitzt er immer noch atemlos in der Kantine und erzählt von der Botschaft, die sich hinter seinen Choreografien verbirgt. Ein Gespräch über verschmelzende Körper, Globalisierung und die Widerstandskraft der Musik.
Panaibra, von wessen Verwandlung handelt „Metamorphoses“?
„Metamorphoses“ ist für mich ist für mich eine Art Recherche über unsere gegenwärtige Welt. Sie wird konfrontiert mit Umweltverschmutzung und der ganzen Umwandlung, die unsere Welt durchlebt. Deshalb versuche ich mir vorzustellen, wie unsere Welt wohl in der Zukunft aussehen könnte – welchen Körper wird haben sollten, damit dieser der Umwandlung wiederstehen und standhalten könnte. Der Körper sollte in der Lage sein sich neu anpassen zu können. Also ist es sozusagen eine Fiktion, die die Möglichkeit darstellt, dass Organisches und Unorganisches verschmelzen und so den neuen Körper formen. Wir produzieren immer mehr Plastik, das nicht zerstört werden kann und für immer bestehen bleibt. Das heißt, dass wir am Ende dazu gezwungen werden damit zu leben und uns deshalb neu erfinden müssen.
Also ist es eine Botschaft an die Zuschauer, sich umweltschonender zu verhalten?
Ja, denn unser gegenwärtiges Verhalten hat Einfluss auf unsere Zukunft. Irgendwann werden wir unsere Lebenshaltung deshalb ändern und uns neu anpassen müssen. Sind wir bereit für diese Anpassung? Oder verschwindet der menschliche Raum? Oder sollten wir uns komplett neu erfinden, so dass wir eine Transformation von einer Menschenart zu einer anderen erleben?
Am Ende der Choreografie schlüpfen die Tänzer in einen Rock aus aufgeblasenen Plastiktüten. Ist das die Antwort auf die Fragen, die du eben gestellt hast? Ein Körper aus Plastik, der zurückbleibt?
Ja, genau! Alles verdirbt, nur Plastik nicht.
Eine deiner drei Tänzer*innen, Maria Domingos Tembe, hat keine Beine. Gibt es einen Zusammenhang zum Inhalt Deiner Choreografie?
Für mich war es sehr interessant, einen anderen Körper in dieser Arbeit zu haben, der am Rande der Gesellschaft steht. Deshalb habe ich mir zuerst die Frage gestellt, welche Art von Körper ich für diesen Tanz brauche. Dann ist mir eines klargeworden: Bereits heute gibt es Körper, die teilweise aus Plastik bestehen. Stell dir einfach eine Beinprothese vor. Plastik hilft einigen Menschen, einen perfekten Körper zu formen. Das hat mich sehr inspiriert.
Maria wird während des Tanzes von José Jalane unterstütz, indem seine Beine ihre ersetzen. Warum dieser Mix aus männlichem und weiblichem Körper?
Dieser Mix ist auch Teil unserer Gesellschaft – das Verschmelzen von Mann und Frau. Denn das ist die Voraussetzung, um einen neuen Körper formen zu können. Diese Metapher steht für die Erfindung eines neuartigen Menschen.
Beide Darsteller haben sich so bewegt, dass Josés Beine Marias’ ersetzt haben und ihr Oberkörper den von José. Wie haben sie es bei den Proben geschafft, das nötige Vertrauen zwischen den beiden aufzubauen?
Es war wirklich sehr herausfordernd. Wir haben versucht von der Körpermitte aus zu arbeiten: Erst musst du deine eigene Körpermitte spüren, diese dann mit der der anderen Person verbinden und herausfinden, wie der Rest deines Körpers auf diese organische Verbindung und die Energie reagiert, die durch die Körper strömt. Die Proben waren natürlich besonders schwierig, weil Maria auf dem Boden proben musste. Also gab es sehr viele Rücken-an-Rücken-Übungen, um dann wiederrum die Energie zwischen beiden Körper zu verbinden.
Für die Tänze im Stehen mussten wir uns dann etwas Anderes überlegen. Deshalb kamen wir auf ein technisches Ergebnis: Damit sie sich freier bewegen konnte, wurde sie von José getragen.
Nach „Metamorphoses“ wurde „Time and Spaces – The Marrabenta Solos“ gezeigt, in dem Du als Tänzer zu sehen warst. Welche Verbindung gibt es zwischen beiden Aufführungen?
In „Time and Spaces“ geht es auch um eine Metamorphose – eine Art soziale Metamorphose. Es handelt davon, welchen Einfluss politische Entwicklungen auf Menschen haben und wie sie sich dadurch entwickeln. Wie die alten politischen Systeme durch den heutigen Menschen dringen und ihn formen. Beispielsweise der Kommunismus. Dieses System unterdrückt andere Länder und zwingt sie dazu, sich umzuwandeln und anzupassen, um weiterhin bestehen zu können. Es gibt immer zwei Pole, die gegeneinander kämpfen. Menschen werden auch durch die Globalisierung beeinflusst und umgeformt. Denn dadurch werden Informationen verbreitet, die die Menschen verändern und zu einem anderen Verhalten führen.
Die „Solos“ handeln explizit von den politischen Veränderungen in Deinem Heimatland Mosambik. Welche genauen Veränderungen finden dort statt?
In Mosambik passieren diese Veränderungen in kurzen Abständen. 1975 wurde Mosambik unabhängig. Danach gab es einen rapiden Wandel zum Kommunismus, welcher bis in die 1990er andauerte. Jetzt versuchen wir mit einer zerbrechlichen Demokratie umzugehen. Und durch diese Veränderungen, die in kurzer Zeit stattfinden, verändern sich die Menschen so ähnlich.
Wie sieht dieser Identitätswandel der Mosambikaner aus?
Es fängt bei der Sprache an. Die offizielle Sprache in Mosambik ist Portugiesisch, aber nicht jeder spricht es. Das heißt, dass es ein Kommunikationsproblem gibt. Ansonsten haben wir viele verschiedene afrikanische Sprachen im Land, wodurch es sehr schwierig ist, sich in einer fremden Region anzupassen.
Mit Deinen „Solos“ führst Du diese Veränderungen vor. Aber wessen Rolle übernimmst Du in Deiner Performance? Bist du das System, dass sich durchgehend verändert oder der Mensch, der dadurch beeinflusst wird?
Ich bin einfach nur ein Mensch – ich lebe und atme. Egal in welche Richtung mich das System zu drängen versucht, am Ende werde ich immer noch hier stehen. Solange ich lebe, kann ich selber entscheiden, was oder wer ich sein möchte. Es ist viel wichtiger, dass wir politische Konflikte hinter uns lassen, uns nicht unbedingt einer Seite anschließen und realisieren, dass wir alle Knochen, Muskeln und Blut sind. Es geht darum, meine eigene Identität zu finden.
Neben dem körperlichen Aspekt spielt die Musik in den „Solos“ eine große Rolle. Es gab durchgehend einen musikalischen Wechsel. Was hat es damit auf sich?
Mosambik ist ein sehr ethnisches Land und es gibt viele verschiedene Kulturen. Diese verschiedenen Kulturen bilden gemeinsam ein Land. Deshalb habe ich Musikrichtungen verschiedener Kulturen untersucht, aber auch Tanzschritte. Die Marrabenta-Musik, die ich eingesetzt habe, war für mich eine Art Wiederstand gegen den Kommunismus. Wenn der Mosambikaner die Gitarre in die Hand nimmt, versucht er, seinen eigenen Rhythmus weg vom Kommunismus zu finden. Obwohl wir uns verändern, bleibt der musikalische Rhythmus gleich und die mosambikanische Musik bleibt bestehen.
In den „Solos“ gibt es einen Moment, in dem du eine Kampfszene darstellst. Wen bekämpfst du da?
Ich bekämpfe das System, damit ich ich sein kann. Das System sollte sich uns anpassen, nicht andersrum. Wir Menschen müssen zusammenhalten und dürfen uns nicht unterdrücken oder manipulieren lassen. Der heutige Mensch hat so viel auf seiner To-Do-Liste stehen, dass er die Anderen in seinem Umfeld vergisst. Er ist immer beschäftigt. Wie eine Maschine. Die Metamorphose führt uns in diese Richtung. Wir sind nicht wir selbst, sondern eine Nachahmung unseres Selbst. Als Mensch sind wir stark, aber nicht als eine Maschine. Und der Erde sollten wir dankbar sein, dass sie uns bei sich aufnimmt.