Waffen und Wunden

Ein Mann mit Dornenkrone schreit
Wer hat dich so geschlagen? © Michael Bause

In “Borderlines” erzählt Panaibra Gabriel Canda von körperlichen und seelischen Verletzungen

Mit zackigen Bewegungen führen Tänzer*innen Ziegelsteine an den Mund, als wollten sie hineinbeißen. Wenig später nähern sich ihre Münder einem schmächtigen, in weiß gekleideten Mann, der ihren Küssen ausweicht, doch von den Anderen festgehalten wird. Sie zerren, reißen und rupfen an dem biegsamen Körper, steigern sich in eine Rage der Überrumpelung.

Es sind Bilder verzweifelter Aggression, die einen zusammenkrampfen lassen in den 60 Minuten der Tanz-Performance “Borderlines”: Körper werden zu Waffen, die Gewalt ist allgegenwärtig und lässt den Atem stocken. Im Abschluss der Triologie “(In)Depenencia” erzählt Choreograf Panaibra Gabriel Canda von der Geschichte Mosambiks. Dabei verkörpern die fünf Tänzer*innen nicht nur das vom Kolonialismus und Bürgerkriegen gezeichnete Land, sondern auch das individuelle Leid. Im Ensemble tanzen Menschen mit und ohne körperliche Behinderung gemeinsam. Sie zeigen, dass der Weg zur Befreiung Wunden bereitet.

Einschüchternde Stärke

“Nobody knows the troubles I’ve seen” stottert der schmächtige Tänzer die Zeilen des bekannten Gospelsongs, die einzigen Worte des Stücks. Mehr gibt es nicht zu sagen. Das Sprechen übernehmen die Körper: So schwirren die vier Menschen mit Steinen um den weiß gekleideten Mann herum, der eine Mischung aus Strahlen- und Dornenkrone trägt. Sie setzen zum Wurf an, doch niemand will den ersten werfen. Sie schubsen, drängen sich nach hinten, beißen einander und vergessen über das Chaos des Bürgerkriegs schließlich, wer der Böse ist.

Quälender Mauerbau © Michael Bause
Quälender Mauerbau © Michael Bause

Schonungslos trifft diese Inszenierung nicht nur wegen der niederschmetternden Gewaltdarstellung, sondern wegen des Schmerzes, der den drei Tänzerinnen und zwei Tänzern auf verschiedene Weise in die Körper eingeschrieben ist. Einer Tänzerin wurden die Beine amputiert. Auf der Bühne wirft sie sich mit donnernden Schreien in Kampf-Posen und zeigt einschüchternde Stärke. Im Hintergrund transportieren zwei Körper durch fließende Bewegungen inneres Leiden nach außen. Wunden werden sichtbar.

Stein um Stein

“Mosambik, unsere glorreiche Heimat! Stein um Stein das Morgen bauend!”: Diese Zeilen der mosambikanischen Nationalhymne prägen das Tanzstück von Anfang an. Werfen die Tänzer*innen die Steine zunächst auf den Boden, so dienen sie ihnen später als Waffen und schließlich als Aufbauelemente der Zukunft des Landes. Da konstruiert die Gruppe eine Brücke aus ihren Körpern, mühsam, Schritt für Schritt. Dabei quält der langsame Aufbau der Brücke fast mehr als der Ausdruck puren physischen Schmerzes. Werden sie es wirklich bis zum anderen Ende der Bühne durchhalten? Sie bauen, bis das Licht erlischt. Doch auch da winkt keine Triumphgeste, bleibt man als Betrachter unerlöst.

 

Hinweis: Nach der heutigen Vorstellung wird der Film “De Corpo e Alma” gezeigt, der mehr über das Leben von körperbehinderten Menschen in Mosambik erzählt.