Am Samstag war das “Kraut und Rüben”-Kinderfest von Grenzenlos Kultur zum ersten Mal am Staatstheater zu Gast. Ein Rundgang
Die Theatergebäude sind noch nicht zu erkennen, da höre ich schon das Menschengetrummel. Überall laufen (kleine) Menschen mit gelben, hellgrünen und hellrosa Luftballons herum, darauf Zitate – und der Stern, das Symbol des Mainzer Staatstheaters. Sie lotsen mich auf den Tritonplatz zwischen dem Großen und dem Kleinen Haus. Hier steht ein Bierstand, es riecht nacht Kaffe und Kuchen. An langen Bänken essen und trinken Kinder mit ihren Eltern, Großeltern, Geschwistern.
Es ist gar nicht so einfach, an diesem Samstag die Übersicht zu behalten, weil gleich drei Feste räumlich ineinander übergehen. Während auf dem Platz vor dem Theater der 14. Mainzer Wissenschaftsmarkt stattfindet und mit Preisen und Robotern lockt, findet in den Theaterräumen zugleich das Theaterfest mit Führungen und Ausschnitten aus den neuen Inszenierungen statt. Und natürlich das inklusive Kinderfest “Kraut und Rüben”, das aus dem sonst eher tristen Tritonplatz ein Wimmelforum macht. Schon im dritten Jahr können hier Kinder spielerisch mit dem Thema Behinderung in Kontakt kommen.
Herausforderung: den Becher finden
Zum Beispiel im Dunkelcafé. Bevor wir das Café betreten, müssen wir eine Augenbinde aufsetzen, damit wir wirklich nichts sehen. Ich fühle mich hilflos, aber die Helferin gibt uns Start- und Orientierungshinweise. So darf ich mich an ihrer Hand festhalten und der nächste Cafébesucher an meiner Hand. Vorsichtig versuche ich nirgends anzustoßen und hoffe auf weitere Anweisungen, nachdem uns der Tisch als rund beschrieben wurde. Wir sollen uns vorsichtig setzen, unsere Begleitung führt meine Hände zu meinem Stuhl. Ich taste alles ab; trotzdem ist es nicht leicht, sich hinzusetzen.
Dann bietet uns Ismael Getränke und Knabbereien an. Allein meinen Becher immer wieder ausfindig zu machen stellt sich als Herausforderung dar, während die Lüftung des Raumes zu dröhnen scheint. Ismael, der selber von Geburt an blind ist, erklärt: Die Geräusche sind für Blinde sehr intensiv. “Aus diesem Grund verwirren und mich auch laute Kreuzungen”, sagt er.
Tanzbar und Puppen-Talk
Als ich die Augenbinde wieder abnehmen darf und dem Raum verlasse, gewöhnen sich meine Augen nur langsam wieder an die Sonne. Draußen auf dem Platz herrscht Trubel: An einem der Stände können sich die Jüngsten künstlerisch ausdrücken, sie malen mit großen Pinseln auf Papier. Überall toben, schreien, malen Kinder, fassen an. In einer anderen Ecke ziehen die Tänzerinnen der „Tanzbar Bremen“ Umstehende zu sich auf die „Bühne“, die nur mit Kreide aufgezeichnet ist. Ich muss schmunzeln, als die Erwachsenen zumeist schüchtern zurückweichen, die Kinder aber draufloshüpfen und sofort für die volkstanzähnliche Choreografie zu begeistern sind.
Im Kleinen Haus lauscht das Publikum währenddessen gespannt Regisseur Jan-Christoph Gockel und Puppenmacher Michael Pietsch. Sie sprechen über den Puppenzauber, der nicht nur Kinder, sondern auch die Erwachsenen immer wieder fasziniert. Gehört das jetzt zu “Kraut und Rüben” oder Theaterfest? Vollkommen egal.
Das Highlight des Abends und für die Kinder ist das Kinder- Rockkonzert der Gruppe Pelemele. Bereits eine viertel Stunde vor dem Auftritt steht schon eine Familie wartend vor der Tür. Auf Pelemele angesprochen sagt die Mama stolz: „Wir sind schon seit heute morgen hier und warten. Wie bei einem richtigen Rockkonzert.” Drinnen wurden die vorderen Sitzreihen abgebaut, man kann nur hinten sitzen. Die Luftballons, von denen jedes Kind mindestens fünf zu haben scheint, versperren mir die Sicht.
Aber Sitzen ist sowieso nicht im Sinn der Band, denn als sie mit wildem Geschrei begrüßt werden, rufen sie die Kinder zu sich vor die Bühne. Am Anfang sind diese noch unsicher, aber bald klatschen sie mit, springen herum und folgenden lustigen Anweisungen des Sängers, spielen Luftgitarrensoli, stampfen Elefantentänze und wackeln mit dem Popo. Als der Sänger die Eltern zum Mittanzen auffordert, bleibe ich wie viele Eltern noch schüchtern sitzen. Als mich die frechen Großeltern neben mir auffordern mitzuwacklen, kann ich mich auch nicht mehr verweigern.
Wieder auf dem Platz, sehe ich, wie die ersten Stände abgebaut werden – und einen Heliumluftballon mit Theaterstern, der langsam gen Himmel schwebt.