Kraut_produktion und Theater HORA zeigen „Human Resources“
Es wird ein langer Abend sein, auf den sich die Zuschauer einlassen, als sie die vielen Stufen ins U17 hinabsteigen. Außerdem ein anstrengender. Vor allem aber wird es ein Abend sein, den man mit einem großen Fragezeichen im Kopf wieder verlässt. Neben durchgehender Verwirrung und Überforderung stellt sich in den knapp zwei Stunden besonders ein Gefühl ein: das Bedürfnis nach Stille. Was verhalten beginnt, entpuppt sich als ein Abend der Reizüberflutung, der die Nerven strapaziert.
Wie gewinnbringend ist der Mensch für die Gesellschaft? Das ist die Kernfrage des Abends, kündigt Sandra Utzinger zu Beginn der sehr performancehaften Vorstellung an. Kurz darauf ist sie splitternackt. Laute Musik dröhnt durch den Raum, wild schreien die Darsteller auf der Bühne durcheinander, begleitet von rasant vorbeiziehenden Bild- und Videoprojektionen: sich allmählich zusammensetzende Skizzen von Fabelwesen, aufgerissene Münder, ein vollkommen zugedröhnter Curt Cobain, der sich leidenschaftlich im Gröhl-Ton vergreift.
Politisch korrekt im Provokations-Modus: die “vegane Schüttung”
Das wilde Durcheinander ist auch das Einzige, woran man sich nach diesem Abend noch deutlich erinnern kann. Dennoch gibt es dazwischen auch klare Momente. Tanzend und singend feiern die Darsteller von kraut_produktion und Theater HORA auf der Bühne ihre Individualität und das Anderssein. Sie lesen Facebook-Aktivitäten vor, stellen Casting- und Kuppel-Shows nach und kritisieren damit nicht nur unsere heutige Kosten-Nutzen-Gesellschaft, sondern machen sich auch über deren angestrebtes Ziel lustig: die „Allgemeinverträglichkeit“.
Das erfrischt – auch wenn das Thema längst nichts Neues mehr ist. Ebensowenig wie die Mittel der Neo-Avantgarde, die mittlerweile selbst Staub angesetzt haben. Mit mehr oder weniger komischem Witz nehmen die acht Schauspieler den heutigen Social-Network-Wahnsinn und Veganismus-Hype auf die Schippe. Am Ende erinnert Thomas U. Holstettler aggressiv-nostalgisch an alte Zeiten, in denen Performance-Theater noch blutig und provokativ war. Das Ganze untermauert er dann mit einer „veganen Schüttung“, als er sich symbolisch einen Eimer voll Gemüseeintopf überkippt.
Das Problem mit der Macht
Nach knapp zwei Stunden – es fühlt sich so an, als hätte die Vorstellung schon dreimal zu Ende sein können – tanzt Holstettler nackt auf kniehohen Glitzerplateauschuhen, reckt dabei den Zuschauern sein blankes Hinterteil ins Gesicht. Wie gewinnbringend ist denn nun ein Mensch für die Gesellschaft?
Wirklich gute Frage! Die Antwort allerdings geht auf der beliebig wirkenden Bühne im chaotischen Getümmel unter. „Human Resources“ schafft es zwar immer wieder, die Grenze zwischen Theater und Realität zu verwischen und den Zuschauer so daran zu erinnern, dass nichts und niemand perfekt ist – schon gar nicht unsere Gesellschaft. Dennoch: Die Reizüberflutung ist allgemein unverträglich. Was provozieren und aufdecken soll, was die Ausschlachtbarkeit unserer Menschheit entlarven soll, geht in der lauten Musik und den flimmernden Bildern der Leinwand unter.
Noch schlimmer sind die ewig langen Monologe von Utzinger, Holstettler und Torpus: Was anfänglich als Kritik an der bevormundenden Gesellschaft gilt, mutiert zu einer unerträglichen Selbstpräsentation. So demonstriert Utzinger zu Beginn die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft, die nicht auf Wünsche und Bedürfnisse ihrer behinderten Mitmenschen eingeht, indem sie beispielsweise Fabienne Villinger immer wieder die Show stiehlt und ihr dabei ins Wort fällt.
Im Selbstbeweihräucherungs-Furor
Im Spiegel, der uns dabei vorgehalten werden soll, dominieren bis zum Schluss die drei Kraut-Performer, welche vor lauter Selbstbeweihräucherung die vier HORA-Darsteller kaum zu Wort oder überhaupt zu einer bemerkenswerten Szene kommen lassen. Stattdessen drängen sie sich penetrant in den Vordergrund.
Am Ende bleibt der Wunsch nach mehr Klarheit und weniger Performance-Trash. Vielleicht hätte es auch schon geholfen, die Passagen auf Schweizerdeutsch mit Mitteln wie Simultanübersetzung oder Übertiteln besser verständlich zu machen. Gerettet hätte das diese konturlose Feier des Chaos vermutlich aber auch nicht.