Grillwürstchen und Zombie-Held: Der Festival-Auftakt mit Rambazamba und einem frischen Sophokles gelang grandios
Gewaltig ragt der übergroße Pfeil in im Bogen gen Himmel, dominiert den Bühnenraum und demonstriert seine Bedeutung. Eine Wunderwaffe, die seinem Träger Macht und Ehre verleiht, aber gleichzeitig seinen beiden Besitzern Unglück zu bringen scheint. Herakles, von der eigenen Frau vergiftet. Philoktet, ausgesetzt auf einer einsamen Insel, verstoßen von seinem Heer.
Bei Rambazamba stehen Schauspieler mit und ohne geistige Behinderung zusammen auf der Bühne. Die ganze Truppe besticht mit einem hohen Leistungsniveau. Unter der Leitung von Regisseur Jacob Höhne inszeniert Rambazamba die griechische Tragödie “Philoktet” nach Sophokles. Die Betonung liegt auf nach, denn die antike Sprache weicht immer wieder verständlichen, klaren Sätzen. Höhne gönnt uns einen Blick in die Vorgeschichte, in der Herakles, gespielt von seinem Bruder Moritz Höhne, seine Wunderwaffe an Philoktet übergibt. Moritz Höhne, der mit Trisomie 21 geboren wurde, mutet in seiner Rolle an wie ein stolzer Krieger. Wenn er sich vor dem Publikum auftürmt und seinen Bizeps küsst, steht er mit jeder Zelle seines Körpers für Stärke.
Doch Herakles ist lange tot und der verstoßene Philoktet im Besitz seiner Waffe, als die Götter den Griechen prophezeien, dass sie Troja nur mit Philoktets Pfeil und Bogen besiegen werden. Odysseus kommt, um ihn zurückzuholen. Gespielt von Sven Normann, der vom Rollstuhl aus die Fäden in der Hand hat und es schafft, den jungen Neoptolemos für seine Sache zu gewinnen. Mit einer List soll Neoptolemos (Jonas Sippel) Philoktet aufs Schiff locken. Doch sieht man ihn den überdimensionalen Pfeil balancieren, in seinem viel zu großem Mantel, in dem er wirkt wie in der Waschmaschine eingegangen, wird schnell klar: Der sensible Neoptolemos ist seiner lAufgabe nicht gewachsen.
Normann und Sippel verkörpern wunderbar die gegensätzlichen Pole, die die Situation eskalieren lassen. In der Luft flimmert ein Klang, der die Herzbändel vor Spannung surren lässt wie die Sehne eines gespannten Pfeils. Der eiskalte Akt des Hinterhalts von Odysseus steht gegen Neoptolemos Mitgefühl für den geplagten Philoktet. Tobias Rotts Zombie-hafter Held zerbröselt und zerfällt; allein seine Sprache stemmt sich dagegen. Sein Körper erzählt mit jeder kleinsten Bewegung von Verrat und Einsamkeit.
Die zuweilen schier unerträgliche Spannung wird herrlich locker vom Chor entschärft. Darunter großartig: Sebastian Brandes, der in der kommenden Spielzeit am Mainzer Staatstheater zu sehen sein wird. Bei Rambazamba lösen Bier, Grillwürstchen und Polaroid-Kamera die verstaubten Chor-Reden ab – komödiantischen Einlagen, die ganz beiläufig und unangestrengt Sophokles Ernsthaftigkeit herzlich zerstreuen.
Mehr zu RambaZamba: Am Dienstag und Mittwoch gastiert das Berliner Theater bei Grenzenlos Kultur mit “Am liebsten zu dritt“.