Gesichter des Festivals I: Sue Austin sitzt im Rollstuhl – zum Glück. Durch ihn ist sie frei. Mit ihrer Performance “Creating the spectacle” öffnet sie neue Perspektiven – heute und morgen Abend bei Grenzenlos Kultur vol. 16
Als Sue Austin zum ersten Mal in ihren elektronischen Rollstuhl stieg, überkam sie ein intensives Gefühl von Freiheit: “Ich konnte überall hin wo ich wollte und den Wind in meinem Gesicht spüren”, erzählt sie. Dann entdeckte sie einen Taucher mit Behinderung – und wollte selbst ins Wasser. Einen weiteren Raum erfahrbaren, ihrer Welt neue Perspektiven zuführen.
In einem Swimming-Pool lässt sie sich in Rollstuhl und Sommerkleid fotografieren und findet überall auf der Welt Zuspruch. “Es war unglaublich”, beschreibt sie ihre Verblüffung “mit einer solch immensen Resonanz haben wir nicht gerechnet.” Die Suche nach Unterstützern und einem unterwasser-fähigen Rollstuhl begann.
Die Konstruktion war nicht einfach: Anfangs machte der Rollstuhl im Wasser nur Loopings: “Die haben mir viel Spaß gemacht!” sagt Austin, “Aber ich wollte durchs Wasser fliegen.” Die nächste Konstruktion stellte sie nicht mehr auf den Kopf, aber nun dümpelte sie in ruhigen Bahnen am Grund – zu wenig Action! Mit der endgültigen Konstruktion bewegt sich die Künstlerin schwebend durchs Wasser. Aufgeregt ist sie trotzdem jedes mal, “doch in dem Moment, in dem ich eintauche, werde ich ganz ruhig”.
“Wir haben unzählige Outfits ausprobiert”, erzählt sie. Zum Schluss überzeugten das Kleid und die Sonnenbrille vom ersten Fotoshooting. “Wenn ich unter Wasser bin sehe ich nicht viel”, wie sie sagt. “Aber ich spüre wie es um mich streicht, wie ich mich bewege. Das ist wunderbar.”
Mit ihrer Performance am Freitag und Samstag um 21.30 im Schwimmbad Mombach will Sue Austin die Wahrnehmung der Menschen verändern: Sie sollen den Rollstuhl nicht als etwas Negatives verstehen, sie nicht bemitleiden: “Als ich mit meinem neuen Rollstuhl, der mir so ein großes Freiheitsgefühl geschenkt hat, zu meinen Freunden gefahren bin, haben die nur traurig mit dem Kopf geschüttelt”, sagt die Künstlerin, die vor Lebensfreude und Energie geradezu überschäumt. Sie begann nach Wegen zu suchen, den Leuten das Positive am Rollstuhl zu vermitteln.
Das nächste Projekt: Fliegen
Sue will zeigen, dass Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung all das tun können, wie Menschen ohne Behinderung – auf eine andere Art. “Es geht mir darum die Vorstellungen der Leute zu verändern. Am besten gelingt das durch den Perspektiv-Wechsel, wenn die Menschen mit unter Wasser kommen.”
Das Team arbeitet hart, “damit es wunderschön aussieht und die Leute ihre negative Vorstellung vom Rollstuhl ablegen. Wenn sie einen freien Blick haben können sie die große Freiheit, die mir der Rollstuhl gibt, spüren.” Hinterher wünschen sich manche sogar sie würden selbst im Rollstuhl sitzen. “Es ist wirklich verrückt wie viel ich mit der Performance erreichen kann”, sagt sie. “Da kommen Männer zu mir, die im All waren und brennen darauf zu erfahren wie es ist im Rollstuhl durchs Wasser zu schweben.”
So ist das nächste Projekt der Engländerin: Flying Wheelchair – Fallschirm springen im Rollstuhl. “Das Projekt ist riskant”, erklärt sie. „Ich bin sehr nervös und mir darüber bewusst, dass ich mein Leben aufs Spiel setze.“ Als der Fluglehrer meinte, Sue schafft es nicht, begann sie selbst am Projekt zu zweifeln. “Meine Co-Produzentin Trish und der Rest des Teams haben mich aber aufgebaut und ich habe gedacht: Ja, auf dem normalen Weg schaffe ich es nicht. Deswegen muss es einen Weg geben, der für mich passt.”
Die künstlerische Arbeit erfüllt Sue Austin mit Energie: “Ich schöpfe daraus mindestens so viel an Kraft, wie ich hineingesteckt habe.” Die Behinderung, so sagt sie, empfindet sie manchmal als ein richtiges Geschenk. “Ohne sie hätte ich niemals die Erfahrungen gemacht, die ich machen durfte. Und ich hätte eine andere Einstellung zu meiner Rolle in der Welt, als ich sie heute habe.“