Bankenkrise? Puppen-Sado-Maso!

In weißen Einteilern: Die Helmis und ihre Schaumstoffkollegen in "Sündenstadt" © Marie Tollkühn
In weißen Einteilern: Die Helmis und ihre Schaumstoffkollegen in “Sündenstadt” © Marie Tollkühn

Zwei Stunden lang Dauer-Slapstick und viele verlorene Augen: Das Helmi! präsentiert ihre ganz eigene Version von Frank Millers Film “Sin City”.

Puppen-Verschwörungen, Puppen-Kamasutra, Puppen-Splatter – in der “Sündenstadt” der Helmis ist einiges los. Eine Meerjungfrau stiftet Männer zum Mord an und in der Dr. Oetker-Versuchsküche wird ein Hase gebacken und weggeknuspert.

Chaostruppe in Weiß

Bei der Berliner Puppentheatertruppe Das Helmi! ist jedes Mitglied Autor, Regisseur, Musiker und Schauspieler. Der Schaffensprozess gehört zum Programm – und zur Performance. Nachdem sie bereits viele andere Filmklassiker zerlegt haben, suchen sie nun Frank Millers Comic-Verfilmung “Sin City” mit ihren Puppen heim.

Der entstellte und gewalttätige Marv dürstet nach Blut, um die Frau, die er liebte, zu rächen. Gleichzeitig lässt sich der Fotograf Dwight McCarthy zu einem Mord verführen. Pierre le Lumière – angekündigt als “the sexiest man alive” – sucht nach dem entflohenen Dr. Oetker. Sie haben nur eins gemeinsam: ihre Stammkneipe.

Wo sind wir gerade in der Handlung? Egel, Hauptsache, es knallt! Brian Morrow und Florian Loycke in Aktion © Marie Tollkühn
Wo sind wir gerade in der Handlung? Egal, Hauptsache, es knallt! Brian Morrow und Florian Loycke in Aktion © Marie Tollkühn

Die wild zusammengetackerten Schaumstoff-Protagonisten erzählen in drei Geschichten gefühlte hundert Verwicklungen, Wendungen und Einzelschicksale. Verwirrend? Ja. Spaßig? Allemal. Dabei stehen die Puppen und auch der Abend in ihrer Produkthaftigkeit im Vordergrund. Untypisch für Figurentheater präsentieren sich die Spieler nicht in Schwarz, sondern in Weiß – in langen weißen Unterwäsche-Einteilern. Was einerseits eine augenszwinkernde Persiflage auf die Tradition ist, andererseits die Spieler und ihre betont nicht planmäßig verlaufenden Szenen herausstellt. “Mein Auge hat sich jetzt an meinen Haaren festgesaugt!” hört man in herkömmlichen Figurentheaterproduktionen eher selten.

Darsteller und Figur werden eins

Einfachste Gegenstände werden bei den Helmis Bühne und Figur. Grob aus Pappe geschnittene Gebäude und aus Schaumstoff geschnitzte Charaktere sind ähnlich grotesk verzerrt wie die Erzählung selbst. Von Dwight McCarthy bleibt beispielsweise am Ende nur noch ein sprechender Kopf mit einem Auge, dem das rote Tüllblut aus vielen Einschusslöchern quillt. Der Kopf flieht in einem Obstkistenauto: “Coole Kiste!”

Lederjackenmacho: Cora Frost mit Bart © Marie Tollkühn
Lederjackenmacho: Cora Frost mit Bart © Marie Tollkühn

Bei aller Gewalt bleibt der Spaß jedoch nicht aus. Jeder Darsteller ist spielwütig und selbstironisch. Sie schreien, weinen und sterben mit ihren Puppen. Spätestens als Cora Forst (herrlich machohaft und schamlos) mit angeklebten Bart und in Ledermontur einen Rocksong kreischt und Emir Tebatebai auf der Bühne flachlegt, ist alle Ernsthaftigkeit verloren.

Die Unterhosenband (bestehend aus den Darstellern Florian Loycke und Brian Morrow) spielt zwischen den Szenen immer wieder meist rockige Songs. Mal brüllen die Puppenspieler, mal singen sie fast andächtig. Oder singen die Puppen? In dieser Inszenierung macht das keinen Unterschied. Darsteller und Figur werden eins und wenn der Schaumstoffkollege mal nicht zur Hand ist, wird der Puppen- zum Schauspieler und bringt die Szene überzeugend allein zu Ende.

Knäuel von Eindrücken

Das Helmi! bricht immer wieder den gewohnten Rahmen. Keine Szene bleibt ohne zynischen Einwurf, und sei sie noch so romantisch. Dabei finden sich immer wieder Bezüge zu aktuellen Themen: Da wird schon mal eine Schaumstofffigur im schwarzen Ledebüstier von zwei Puppenprostituierten ausgepeitscht. “Was hast du während der Finanzkrise gemacht?!” – “Urlaub” – “Du böser, böser Bankdirektor!”

Im Laufe des Abends verknoten sich die Geschichten in ein immer wirrer werdendes Knäuel von Eindrücken. Es bleibt fraglich, ob die Erzähler selbst wissen, wo sie endet. Viel entsteht aus Improvisation und aus dem Reagieren auf spontane Einwürfe des Gegenübers. Das macht den Abend so lebendig, aber am Ende ist man ratlos. Wer wen erschossen, wen betrogen hat, selbst wer der Bösewicht ist, bleibt unklar. Man erlebt vielleicht keine schlüssige Geschichte, aber den Rausch eines surreal überzogenen Puppentheaterchaos.

Am Schluss schlurft ein trauriger Darth Vader über die Bühne und singt ein Lied über sein verlorenes “Söhnchen”. Wo kommt der jetzt auf einmal her? Fragen Sie nicht – hier wüten die Helmis!

Henriette Buss

Henriette Buss (21) studiert Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Mainz. Erste praktische Erfahrungen sammelte sie an der Freilichtbühne Eutin, am Theater Lübeck und am Staatstheater Mainz. Besonders interessiert sie Bühnenbildgestaltung und Musiktheater.