Malte Scholz ist Performer – zum Beispiel heute Abend in Boris Nikitins “Woyzeck”. Ein Porträt.
Wo “Woyzeck” drauf steht, muss noch lange nicht Georg Büchner drin sein. Jedenfalls nicht buchstäblich. Wer heute Abend überprüft, wie sehr der Dichter und sein Werk dann doch durch den Abend spuken, wird zwangsläufig mit dem Performer Malte Scholz konfrontiert – er steht allein auf der Bühne.Theater-Insidern geht das Wort Performer einfach über die Lippen. Von selbst erklärt sich allerdings nicht, was ein Performer treibt. Schon der Begriff ist schwammig: Das englische Wort lässt sich ungenügend mit Ausführender oder Darsteller übersetzen. Performer sind eine merkwürdige Mischung aus Schauspieler und Selbstdarsteller, meist hochreflexive Wesen und Mitschöpfer der Abende, die sie präsentieren.
Ihren Beruf sieht man ihnen nicht unbedingt an. Scholz etwa würde mit seiner randlosen Brille überm Dreitagebart auch als Informatiker durchgehen. Für einen Künstler hat er ohnehin eine ungewöhnliche Biografie – nach dem Abi machte er auf Anraten seiner Eltern eine Ausbildung zum Bürokaufmann, außerdem leistete er Wehrdienst. “Man kann zwar über die Bundeswehr schimpfen, aber nicht alles, was so gesagt wird, ist wahr”, sagt er.
Auch sonst wirkt er nicht wie das Klischee, das man von Absolventen der Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen hat – einigermaßen durchgeknallt und mit drei neuen Projekten gleichzeitig im Kopf. Dazu spricht er viel zu besonnen, wirkt zu bodenständig – wie klug und theoriegefüttert er argumentieren kann, erschließt sich erst nach einer Weile. Gießen, das ist in der freien Theaterszene so etwas wie ein Zauberwort: Die dortige Angewandte Theaterwissenschaft an der Schnittstelle von Theorie und Praxis hat Regisseure mit so unterschiedlichen Handschriften wie René Pollesch, Helene Waldmann und Bastian Kraft sowie Performance-Kollektive wie Rimini-Protokoll, She She Pop und Showcase Beat Le Mot hervorgebracht. Hier studierte Scholz sieben Jahre, gründete die inzwischen erfolgreiche Off-Gruppe Monster Truck mit (aus der er wieder ausstieg). Vor allem begegnete er hier Boris Nikitin, mit dem er auch nach ihrem ersten Abend “Woyzeck” kontinuierlich zusammenarbeitet.
Auch wenn in “Woyzeck” Nikitin als Regisseur und Scholz als Autor firmieren – trennen lässt sich ihre Arbeit nicht. “Jeder ist zu etwa 50 Prozent an der Produktion beteiligt. Als wir das Material ausgewertet haben, hat es viele Gespräche gegeben, in denen die Meinung des Anderen wichtig war.” Dass die Tätigkeiten dann fürs Programmheft aufgeteilt wurden, ist bereits Teil des Spiels mit den Konventionen.
Für “Woyzeck”, aber auch für die Folgeproduktion “F wie Fälschung (nach Orson Welles) – Ein Abend von und mit Malte Scholz” gab’s viel Aufmerksamkeit auch in den Großfeuilletons, Preise und Festivaleinladungen – und damit für Scholz selbst. Er ist kein ausgebildeter Schauspieler, dennoch fühlt er sich auf der Bühne gut: “Inzwischen bin ich ziemlich abgebrüht.” Wenn er auftritt, versucht er, den Ball flachzuhalten. Seine Erfahrung: “Menschen, die höflich und zurückhaltend auftreten, sind meist die interessanteren.” Mit dem Klischee des extrovertierten Schauspielers kann er nichts anfangen.
Wobei er gerne mal eine Rolle übernehmen würde, am besten in einer kleinen Produktion. Wichtig wäre da die Chemie zwischen ihm und dem restlichen Team: “Es gibt Dinge, die lassen sich nicht erzwingen. Das Gelingen einer Theaterarbeit ist auch stimmungsabhängig.” Für Performances gilt das besonders. Vielleicht liegt es daran, dass er bislang nur mit Menschen zusammengearbeitet hat, die er aus dem Gießener Umfeld kennt. So ein eingeschworenes Team schützt ja auch, was besonders bei umstrittenen Produktionen helfen kann. “Woyzeck” etwa, von den einen gefeiert, wird auch immer wieder angegriffen. Zwischen stehendem Jubel und Vorwürfen wie “Publikumsverarschung” hat Scholz alles erlebt: “Das wechselt von Theater zu Theater, ob das ironische Als-ob rüberkommt oder für bare Münze genommen wird.” Büchner wurde unweit von Mainz geboren, “Woyzeck” spielt in Darmstadt. Vielleicht ist das für das Mainzer Gastspiel ein gutes Omen.