8. und 9. September 2011 beim Festival Grenzenlos Kultur vol. 13 in Mainz
Ein Bericht von Natalia Frumkina
Neun Tänzer der portugiesische „Grupo Dançando com a Diferença“, mit und ohne Behinderung, loten zur Eröffnung des Festivals in einer Choreografie von Rui Horta die Grenzen und Möglichkeiten inklusiver Kreativarbeit aus und beweisen, dass es dabei keine Grenzen geben muss.
Die Bühne ist dunkel und fast leer, nur einige Lichterketten sind in akkuraten, geraden Linien auf dem Boden ausgerollt. Regengeräusche durchdringen den dichten Nebel. Plötzlich löst sich von der Wand eine Figur in weiß schimmerndem Hemd und bannt sich ihren Weg durch den Nebel nach vorn, zu den Zuschauerreihen und dem Mikrofon. Zunächst sicheren Schrittes, doch dann streckt die Person die Arme aus und ertastet sich den Weg. Es ist Zé und Zé ist blind.
Wenn Zé die Geschichte seiner Blindheit erzählt, dann klingt er ganz ruhig und selbstbewusst. Warum auch nicht? Die Welt ist für ihn genauso normal wie für die Sehenden auch. Nur eben etwas anders. Sie klingt, schmeckt und fühlt sich intensiver an. Dann fängt Zé an zu tanzen und jeder Schritt scheint für ihn so selbstverständlich, als „sähe“ er genau, wo er hintritt.
Mit beeindruckenden Bildern und berührenden Texten, deren Übersetzung am ersten Abend leider fast vollständig im Nebel unterging, eröffnet das portugiesische Tanzensemble „Grupo Dançando com a Diferença“ das 13. Internationale Theaterfestival Grenzenlos Kultur im Mainzer Kulturzentrum KUZ. Neun Tänzer mit und ohne Behinderung loten in der Inszenierung eines der bedeutenden zeitgenössischen Choreografen Portugals, Rui Horta, die Grenzen und Möglichkeiten einer solchen inklusiven Kreativarbeit aus und beweisen, dass es dabei keine Grenzen geben muss.
Das Stück „Beautiful People“ besticht vor allem durch seine Energie und das „blinde“ Vertrauen, das die Tänzer einander entgegenbringen. Wenn beispielsweise die gehbehinderte Elsa immer wieder von Ricardo aus ihrem Rollstuhl geworfen wird, dann passiert das ohne jegliche Vorsicht von Seiten des gesunden Tänzers, es ist echt in all seinen Konsequenzen. Oder wenn Zé mit einer spitzen Schere in der Hand einen ausfallenden Schritt in Richtung Sónia macht, um ihre mit Klebeband gefesselten Arme zu befreien, dann ist für alle Beteiligten klar, dass dieser Schritt bei jeder Unaufmerksamkeit Sónias auch im wahrsten Sinne ins Auge gehen kann.
Die Tänzer zeigen dem Publikum, dass Tanz im Grunde nichts anderes ist als ausdrucksvolle Bewegung eines Körpers im Raum, ganz gleich, ob dieser Körper „gesund“ oder an einen Rollstuhl gefesselt ist. Die Schönheit der Bewegungen zu den Klängen von Tiago Cerquiera, Nick Cave oder Eurythmics regt zum Nach- und Umdenken an – wenn die grenzenlose körperliche Hingabe für die Künstler mit Behinderung so vollkommen normal ist, sollte sie nicht auch für die Zuschauer genauso selbstverständlich sein? Dass dem noch nicht so ist, merkt man ab und zu an dem ein oder anderen Besucher, der nervös zusammen zuckt, wenn Elsa aus dem Rollstuhl fällt. Genau an diesem Punkt setzt die Arbeit der Gruppe unter der Leitung von Henrique Amodeo an, die bereits seit 10 Jahren einen Beitrag dazu leistet, dieses Umdenken in der Gesellschaft voranzutreiben.
In fesselnden 40 Minuten erzählen die Tänzer mit Worten und Bewegungen von ihren Ansichten, ihren Träumen und Wünschen. Sie verdeutlichen, dass das Leben nicht nur schwarz und weiß ist, wie die Farben ihrer Kostüme und dass jeder, der etwas zu sagen hat, es auch verdient, angehört und ernst genommen zu werden. Ganz zum Schluss steht Zé wieder vorne in der Dunkelheit der Bühne und hält die eingesammelten Lichterketten in seinen Händen – die Sterne, die er nicht sehen kann und die er so sehr vermisst. Das Publikum haben er und seine Mittänzer begeistert. Mit tosendem Applaus an beiden Abenden bedanken sich die Zuschauer für einfühlsame Momente und berührende Einblicke.