„Schlagerträume“ ist die erste inklusive Eigenproduktion des Staatstheater Mainz. Eine Begegnung mit dem Team im Vorfeld der Festival-Premiere
„Ich find’ Schlager toll“, sang einst Guildo Horn und meinte das vermutlich zumindest ein wenig ironisch. „Ich find’ Schlager toll“, sagt jetzt Schauspielerin Tima Zucker und meint das sehr ernst. Warum? „Weil Schlager glücklich macht.“
Da ist was dran. Hinter den eingängigen Melodien und ebenso eingängigen Texten stecken Sehnsüchte, die viele Menschen teilen: nach Liebe, Geborgenheit, Glück. Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben? Schön ist es auf der Welt zu sein? Liebeskummer lohnt sich nicht?
„Bei Schlager kann jeder anknüpfen“, sagt Schauspieler Klaus Köhler, „positiv wie negativ. Alle haben eine Meinung dazu.“ Manchmal kann Schlager sogar ironisch: Das bisschen Haushalt macht sich von allein? Sagt wirklich nur mein Mann.
Gemeinsam stehen Zucker und Köhler in „Schlagerträume“ auf der Bühne. Der Abend ist die erste inklusive Eigenproduktion des Mainzer Staatstheater. Er verhandelt, wie Schlager Menschen verbindet – auch über Generationen. Köhler zum Beispiel hat einen Bezug zum Schlager der 1970er. Von Udo Jürgens etwa, ohnehin ein Genre-Grenzgänger, ist ein eher unbekannter Titel dabei: „Der gekaufte Drachen“. Zucker hingegen ist Helene-Fischer-Fan, liebt „Atemlos“, „Herzbeben“, „Jetzt oder nie“. Auf der Bühne lernen sie einander durch die Schlager kennen, werden dabei selbst zu Schlagerstars – und haben auch einen eigenen Schlager dabei, den sie gemeinsam mit Musiker Axel Heintzenberg entwickelt haben.
An Schlager scheiden sich die Geister. Kaum ein Genre ist derart geprägt von Ressentiments. In anderen Musikbereichen sind die alten Grenzen zwischen E(rnst) und U(nterhaltung) längst gefallen. Im Schlager gelten sie oft weiter, trotz der Ironisierungsversuche von Dieter Thomas Kuhn und Guildo Horn in den 1990ern, trotz stilistischer Grenzgänger*innen wie Reinhard May und Udo Jürgens, Nana Mouskouri und Mireille Mathieu. Dazu beigetragen hat vermutlich auch, dass viele Menschen auf dem Oktoberfest und im Malle-Urlaub zwar durchaus die Wiesn- und Ballermann-Hits mitgrölen, es hinterher aber auf den Suff schieben. Und natürlich, dass Schlager in der Tendenz ein eher konservatives Weltbild feiern und heute oft von rechts vereinnahmt werden. Da versteckt man sich lieber hinter englischen Texten, die oft ebenso banal sind. Aber hey, hey, hey klingt einfach cooler als Schalala.

Dabei wird auch im Schlager vor allem „in einfachen Worten viel erzählt – oft als Klischees, aber auch die haben ihre Berechtigung“, sagt Köhler. Vor allem spricht das auch Menschen an, die von der sogenannten Hochkultur ausgeschlossen bleiben. Ein Klassismus-Problem, das viel zu selten adressiert wird.
Seit knapp 30 Jahren gibt es in Mainz das Grenzenlos Kultur Festival, seit über zehn Jahren am Staatstheater. Noch nie hat es in dieser Zeit am Haus eine inklusive Eigenproduktion gegeben. Das ist jetzt anders. Die Idee zum Stück hatten Franziska Sarah Layritz und Anna Stoß vom Staatstheater. Beide leiteten vor drei Jahren den justmainz Spielclub, bei dem ihnen eine junge Spielerin auffiel: Tima Zucker. Nicht nur mit ihrer Präsenz, sondern auch mit Texten, die sie beisteuerte. Beide wollten mit ihr weiterarbeiten. Über einen Aufruf der Schauspielleitung, die die Idee sehr unterstützte, kam Köhler dazu. Seinen Zivildienst hatte er vor Jahren in einer Schule für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen gemacht; außerdem hatte er während seines Psychologiestudiums eine Hausarbeit über Liebe in den deutschen Schlagern der 1970er geschrieben.
Ideale Voraussetzungen, um gemeinsam mit Zucker am Thema zu arbeiten. In der Findungs- und Probenphase von eindreiviertel Jahren haben sie gemeinsam mit Regisseurin Layritz den ZDF-Fernsehgarten in Mainz besucht, Schlagerstar Thomas Anders getroffen und mit ihm eine Szene für „Schlagerträume“ gedreht.
Was hat Layritz, die als Koordinatorin für Inklusion und Barrierefreiheit und Sonderformate am Staatstheater arbeitet, während der langen Entwicklungs- und Probenphase gelernt? „Das war mein erstes Regieprojekt. Eigentlich bin ich Perfektionistin. Hier musste ich loslassen, mich entspannen, nicht alles perfekt durchinszenieren, sondern Freiräume lassen. Und darauf vertrauen, dass Tima und Klaus das schon machen, die Freiräume füllen.“ Die Zuschauer*innen, die auf U17 dicht am Geschehen sitzen, haben in den Vorstellungen seit der Premiere im September äußerst positiv reagiert. „Das Unperfekte hat ja auch was Schönes, was Befreiendes, zutiefst Menschliches“, sagt Köhler. „Wir singen und tanzen, wie wir singen und tanzen können und haben Spaß. Das überträgt sich aufs Publikum.“
Und nun? Gibt es eine Zukunft für Tima und Klaus? Eine Wiederaufnahme von „Schlagerträume“ ist im Gespräch. Noch sind keine weiteren Inszenierungen geplant. Aber Zucker, die eigentlich in den ZOAR-Werkstätten in Heidesheim arbeitet, macht gerade ein Praktikum am Staatstheater, kennt das Haus, das Ensemble, die Teams. Auch der Schlager ist ja ein Themenfeld, das mit einem Abend noch längst nicht abgegrast ist und mit dem man – Stichwort Hoch- versus Populärkultur – gerade in einem Haus, an dem sonst eher Schiller und Shakespeare laufen, noch eine Menge erzählen kann.