Seit diesem Sommer habt ihr die Festivalleitung von Andreas Meder übernommen. Grenzenlos Kultur seid schon länger treu. Wie kam diese erste Verbindung mit dem Festival zustande?
Christina Schelhas: Die Verbundenheit mit den Festivals ist durch unsere erste künstlerische Arbeit von der Schelhas CoOperation entstanden. Wir haben als Schwesternprojekt das Stück There is no Orchestra gemacht. Wir wurden mit diesem Stück zum No-Limits-Festival eingeladen. Nach zehn Jahren haben wir ein weiteres Theaterstück entwickelt und wurden damit zum Mittenmang-Festival 2021 in Bremen eingeladen. Das ist auch ein Festival der Lebenshilfe Kunst und Kultur. Die Festivals vereinen die professionelle internationale inklusive Theaterszene. Und wir wussten sofort, da möchten wir gerne Teil von sein und mitwirken.
Teil der Schelhas CoOperation ist auch eure Schwester Theresa – warum ist sie nicht in der Festivalleitung?
Elisabeth Schelhas: Sie ist gerne mit uns auf der Bühne und eine starke Performerin. Ansonsten ist sie aber in St. Hangelar in der Waldorfschule als Küchenhilfe tätig.
C.S.: Sie ist dort sehr stark verwurzelt in ihrem Umfeld. Wir haben schon mehrfach versucht, sie nach Berlin zu locken und zu uns ins Team zu holen.
E.S.: Aber natürlich ist sie auch der Grund, warum wir überhaupt hier sind. Sie ist doch irgendwie immer dabei.
Was unterscheidet das Festival Grenzenlos Kultur von anderen Festivals?
C.S.: Wir haben mit dem Staatstheater Mainz einen unglaublich starken Kooperationspartner und bekommen die ganze Personalpower an Unterstützung. Das Kleine Haus hat eine unglaubliche Bühne mit einer großen Technik und die U17 ist auch ein charmanter Raum. Schon allein das ist eine tolle Infrastruktur. Auch der Wille ist da, inklusive Stücke zu zeigen und sich strukturell zu verändern. Es gibt in diesem Jahr zum ersten Mal eine inklusive Produktion namens Schlagerträume vom Staatstheater Mainz. Franziska Layritz, die Regisseurin von Schlagerträume, ist dort auch verantwortlich für Barrierefreiheit und inklusive Kulturpraxis.
Was kann das Festival eurer Meinung nach noch lernen?
C.S.: Wir können immer weiter lernen, wirklich zugänglich zu werden. Barrierefreiheit hört ja nicht bei Rampen oder Aufzügen auf. Menschen kommen ganz unterschiedlich ins Theater – manche brauchen einen früheren Einlass, andere eine Tastführung, eine Übersetzung in Gebärdensprache oder einfach mehr Zeit und Ruhe. Jede Zuschauer*in hat andere Bedürfnisse, und darauf können wir immer sensibler reagieren. Theater sind grundsätzlich noch stark für ein nicht-behindertes Publikum gebaut – diese Strukturen zu verändern, ist ein Prozess, der nie abgeschlossen ist. Wir haben beim Festival schon zahlreiche Maßnahmen wie Audiodeskription oder DGS-Übersetzungen, aber der Weg, um zugänglich für alle zu sein, ist ein ständiger Lernprozess.
E.S.: Alle am Haus bemühen sich. Geplant ist, wenn die Baumaßnahmen durchgehen, eine barrierefreie Dusche in den Garderoben. Das muss aber erst noch umgesetzt und gebaut werden. Ich würde mich sehr freuen, wenn das Haus auch eigene Audiodeskriptionsgeräte bekommt. Es ist toll, dass sie jetzt selber eine inklusive Gruppe haben. Die Eigenproduktion Schlagerträume ist immer ausverkauft und kommt sehr gut an.
Welche Chancen und Herausforderungen entstehen dadurch, dass ihr als Schwestern gemeinsam arbeitet?
E.S.: Wir kennen uns sehr gut und sind ein Team, das in Krisen und unter Druck hervorragend funktioniert. Wir haben unterschiedliche Kompetenzen und ergänzen uns da. Die Herausforderung als Schwester ist, dass wir eine Familie sind, die sich gerne streitet, aber auch schnell wieder verträgt.
Welche Herausforderungen seht ihr für das Festival in den nächsten fünf bis zehn Jahren – finanziell, personell oder künstlerisch?
C.S.: Wir arbeiten sehr eng mit inklusiven Gruppen und behinderten Künstler*innen zusammen. Und gerade hören wir von allen Städten oder mit allen Gruppen, dass Förderungen gekürzt werden. Wenn die Gruppen dann natürlich nicht mehr arbeiten können, nicht mehr produzieren können, ist das schwierig.
E.S: Wir haben als Beispiel jetzt die „Tüten aus der Verwaltung“ vom Theater Thikwa mit der freien Gruppe glanz&krawall. Eine tolle Produktion. Aber die sind gefördert durch öffentliche Mittel, und wenn da Produktionsgelder fehlen, dann gibt es solche tollen Produktionen nicht mehr. Auch alle unsere Festivals sind durch Fördermittel finanziert. Wir haben starke Kooperationspartner und die Festivals sind gewollt und verankert. Wir setzen alles daran, dass es so bleibt.
Welche Ziele verfolgt ihr mit eurer Arbeit und mit dem Festival?
E.S.: Wir wollen spannende, interessante Produktionen zeigen und das schaffen wir auch. Es werden sehr viele internationale, inklusive Arbeiten vereint. Wir setzen uns dafür ein, dass Menschen, professionelle Schauspieler*innen, Künstler*innen sich präsentieren und arbeiten können. Es ist toll, dass wir auch eine Plattform sind, durch die sich Menschen vor Ort vernetzen können und neue Kooperationen entstehen.
Ist das Mainzer Publikum offen und empfänglich für ein Festival wie dieses?
C.S.: Ja, die Mainzer*innen sind immer offen und wir lieben das Mainzer Publikum!
Wie unterscheidet sich inklusives Theater von Theater und braucht es diese Unterscheidung oder sollte es diese Unterscheidung überhaupt noch geben?
C.S.: Die Frage stellen wir uns tatsächlich regelmäßig im Team, immer wenn es um eine Bewerbung von dem Festival oder von Produktionen geht. Natürlich steht das Thema Behinderung per se bei den Produktionen nicht im Vordergrund, aber um das Festival nach außen zu tragen und das Alleinstellungsmerkmal abzubilden, braucht es diese Unterscheidung eben noch. Da wir in einer nicht-inklusiven Gesellschaft leben und solange nicht alle Menschen selbstverständlich teilhaben können, muss man das benennen.
E.S.: Aber zum Beispiel bei den Straßentheaterfestivals, da ist das wirklich egal. Da kommen Leute auf ein tolles internationales Straßentheaterfestival und sind immer begeistert. Da spielt es keine Rolle, weil es einfach ein großes Fest ist.
Warum spielt die Unterscheidung bei Straßenfestivals keine Rolle mehr?
E.S.: Bei „ALLES MUSS RAUS“ in Kaiserslautern sind rund 15.000 Menschen auf der Straße. Es gibt verschiedene Bühnen, unterschiedliche Shows, die mal humorvoll und mal nachdenklich sind, und das Publikum lässt sich darauf ein. Der öffentliche Raum ist per se offen: Niemand braucht ein Ticket, alle können stehenbleiben, mitmachen, reagieren. Vielfalt ist Teil der Atmosphäre. Natürlich steht es im Programm, und in den Förderanträgen taucht es auf, aber es gibt kein internationales, „inklusives“ Straßentheaterfestival Kaiserslautern. Die Menschen kommen und erleben die Vielfalt, sie nehmen das Gezeigte mit großer Freude und Akzeptanz an.
Was würdet ihr gerne noch zeigen?
C.S.: Da gibt es natürlich sehr, sehr viele Ideen. Die Frage nach der Umsetzung und der Realität ist dann aber eine andere. Was wir sicherlich vorhaben für die nächste Festival-Ausgabe, ist zu überprüfen, wie weit wir uns hier im Staatstheater noch verankern können – dann aber ganzjährig. Und vor allem: Wie können wir die Räume vom Festival, die wir haben, noch erweitern und mit partizipativen Projekten vielleicht aus dem Theater rausgehen. Auch mal in die Stadt, um andere Zielgruppen anzusprechen. Ich träume immer noch von einem Festivalzentrum. Wir haben die Kakadu-Bar, in der viele Formate stattfinden, in der man sich begegnen kann, wo Austausch stattfindet, wo sich Publikum und Künstler*innen begegnen. Daran möchte ich eigentlich unbedingt festhalten.
E.S.: Mein Traum wäre es, irgendwann eine große Produktion im Großen Haus zu zeigen. Komplett ausverkauft und dann noch im Stadtraum verankert.
Worauf freut ihr euch in dieser Festivalausgabe am meisten?
C.S.: Ein Highlight für mich war schon Hamlet zur Eröffnung. Das ist wirklich eine so energiereiche und politische Arbeit, die so eine große Lust am Leben versprüht und mit einer sehr, sehr klugen Dramaturgie. Und dann freue ich mich auf den Abschluss auf Carmen von der Theatergruppe Theater Stap. Einfach weil ich die Gruppe sehr schätze.
E.S.: Ich freue darauf, Usually I’m on Top und Bock live zu erleben. Sie zeigen zwei sehr starke, unterschiedliche Perspektiven. Einmal ein weiblicher Cast mit Blick auf Sexualität – und Bock, das Stück von Theater an der Ruhr/Glossy Pain stellt die Frage nach Männlichkeitsbildern und Sexualität.