“Zwei Stunden sind eine blöde Zeit.” sagt Turinsky, “Zu wenig Zeit um richtig was zu erarbeiten, aber zu viel Zeit, um euch einfach nur was zu erzählen.” Zwölf Leute sitzen um ihn herum auf dem Boden. Er fragt in die Runde, auf was wir Lust haben und die Gruppe ist sich einig: Nach sechs Stunden haben wir genug vom Zuhören. Wir wollen uns bewegen.
Michael Turinsky ist studierter Philosoph, Tänzer und Choreograph. Außerdem lebt er mit der Lähmungserkrankung Zerebralparese und ist dieses Jahr bei Grenzenlos zu Gast, um im Workshop sein Wissen und seine Erfahrung zu teilen. In praktischen Übungen beschäftigen wir uns intensiv mit dem eigenen Körper und unseren Empfindungen: So langsam wie möglich drehen sich die Gelenke von einer Körperhaltung zur nächsten. Was nehmen unsere Sinne dabei wahr?
Turinsky nennt das “Crip-Vogueing”. Damit verpasst er einem Tanz-Stil, der in der queeren Szene New Yorks entstand und bei dem es darum geht, für eine unsichtbare Kamera zu posen, noch eine extra Portion Körperbewusstsein. Dann pusliert Technomusik aus den kleinen Boxen und Turinsky bittet uns, einfach loszulassen. Ein bisschen verwirrend ist das schon. Eben war noch jede Bewegung kontrolliert. Jetzt geht es darum, sich vom Beat steuern zu lassen.
Es hilft, dass Turinsky nach diesen Übungen fragt, wie es seinen Teilnehmern ergangen ist. Bei der folgenden Diskussion wird klar, was dieser fliegende Wechsel uns bringt: Erst wenn man sich den ganzen Körper bewusst macht, kann man wirklich alle Muskeln entspannen.
Das einzig unangenehme an diesen Übungen ist der Raum. Ein bisschen zu klein für einen Tanz-Workshop, die Sound-Anlage klingt mickrig, der raue Teppichboden macht das Bewegen schwer – er ist rutschfest.
Wieso Technomusik? Wegen des Rhythmus, der dauernden Wiederholung. Turinsky greift geschickt das Thema des Symposiums auf. Die nächste Stunde unterhalten wir uns über Zeit und “Repetitivität” – ein Wort, das immer wieder benutzt wird, allerdings ohne je genauer betrachtet zu werden. Schade. Turinskys Vortrag ist trotzdem spannend. Er folgt der These, dass vor allem der moderne Kapitalismus es so schwer für Menschen mit Behinderung macht, sich als Teil der Gesellschaft zu fühlen. Sie können nicht für “Mehrwert” sorgen. Die folgende Gesprächsrunde bleibt schwammig. Es fehlt der rote Faden, die Teilnehmer sind erschöpft vom langen Tag. Das Zuhören fällt schwer, obwohl jedes Wort aus Turinskys Mund außergewöhnlich interessant ist. Zum gestellten Kasten Wasser wünscht man sich einen starken Kaffee.
Inhaltlich ist der Workshop interessant und Turinsky begeistert durch seine Fachgewandtheit. Die Organisation hingegen hinterlässt Fragen. Das Symposium wird gedolmetscht, die Workshops nicht mehr. So besteht die Barriere plötzlich nicht mehr für Menschen mit Behinderung, sondern für die, die kein Deutsch können – und keine Aufmerksamkeit mehr aufbringen können. Der Nachmittag macht Lust auf mehr – an einem Vormittag.